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Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Fahrtenbuch - Roman Eines Autos

Titel: Fahrtenbuch - Roman Eines Autos
Autoren: Niklas Maak
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trug sie einen Kaschmirpullover und weiße Cloggs. Sie hatten sich zum letzten Mal gesehen, als sie sechzehn waren.
    Ein Junge tauchte hinter ihr auf.
    »Wer ist der Mann, Mama?«
    »Ein alter Schulfreund, Schatz.«
    Berger zuckte zusammen. Das Kind kam ihm irgendwie bekannt vor.
    Sie tranken einen Kaffee im Garten. Ihr Mann, sagte sie, sei Architekt, er würde jeden Moment heimkommen. »Vielleicht kennst du ihn noch, Hans Milbengang, er war zwei Klassen über uns.«
    »Der mit dem BMW?«
    »Genau.«
    Ihn überkam eine Bitterkeit, die aus den Untiefen seiner Erinnerung emporquoll; er dachte an die langen Nachmittage, an denen er in einem grauenhaft verpickelten Zustand den Waldweg hinauf- und hinuntergelaufen war und an die damals schon reizend aussehende Solveig gedacht hatte; wie sie einmal in der Schulaula übermüdet an seine Schulter gesunken war, weil sie die Nacht davor mit Hans verbracht und mit ihm unten am Fluss übernachtet hatte; wie feucht und sandig ihre Kleider an diesem Morgen waren. Näher war er ihrnie gekommen. Er hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Hans Milbengang. Sein ganzes Leben, das Gezerre an den Jannas und Simones dieser Welt, das Cabrio, der berufliche Erfolg, seine gnadenlose Härte bei Verhandlungen – all das erschien ihm in diesem übertriebenen Idyll, zwischen diesen Rosenbüschen und karierten Kissen, wie der Versuch, aus dem Tal der Demütigungen und unerfüllten Wünsche herauszukommen, in das Solveig ihn zwischen seinem zwölften und zwanzigsten Geburtstag gestürzt hatte. Mein ganzes Leben, dachte er, ist eine Rache für das, was mir damals angetan worden ist.
    Er saß da und besichtigte die endgültige Vernichtung seiner alten Hoffnungen: Hans Milbengang hatte mit ihr ein Kind gezeugt, das aussah wie der kleine Hans Milbengang, aber mit einer Verfeinerung ins Solveighafte, das den Jungen noch unwiderstehlicher als seinen etwas plumpen Vater machen würde. Dieses Kind war vier Jahre älter als sein Sohn Karl, und wenn der einmal fünfzehn wäre, würde dieser kleine Scheißer neunzehn sein und einen BMW fahren.
    Als er ging, versuchte Berger, sie zu küssen. Sie war erstaunt, aber nicht böse. Sie schob ihn sanft durch die Haustür und küsste ihn flüchtig auf den Mund.
    »Sweety«, sagte sie mit einem bedauernden Ton in der Stimme, »es tut mir leid. Bad timing. Damals war es zu früh, jetzt ist es zu spät.«
     
    Berger hastete zu seinem Wagen, rammte beim Ausparken Solveigs Familienauto und raste auf die Autobahn. Er fegte die linke Spur mit dem Fernlicht frei, er rief, während er den alten Wagen auf zweihundert beschleunigte, Janna Bissheimer an, um sie zu fragen, ob sie mit ihm ein Wochenende nach Rom fahren würde, ob sie, schrie er in den Hörer, während der Fahrtwind am Stoffdach zerrte, mit ihm nach Italien fahren wolle! Janna verstand ihn erst nicht und lachte dann; ob ihn die Frauen so wenig liebten, dass er mit ihr nach Rom fahren müsse?
    In diesem Moment zog ein polnischer Lastwagen auf seine Spur. Berger bremste, die Räder blockierten kurz, er kam ins Schleudern,konnte den Wagen aber wieder einfangen. Als er sich von dem Schreck erholt hatte, beschleunigte er den Mercedes wieder, setzte sich vor den Polen und bremste auf vierzig Stundenkilometer herunter. Dann gab er Gas.
     
    Er fuhr in die Stadt, in der er nach seinem Studium ein paar Jahre in einer Unternehmensberatung gearbeitet hatte, parkte in einer Seitenstraße und ging zum Fluss. Das Wasser war kalt und klar, es kam aus den Bergen; weiter hinten sah man die dunkle Silhouette eines Museums. Er warf ein paar Kieselsteine in die Fluten und ging wieder.
    Er hatte niemanden angerufen, den er von früher kannte, er hatte die Nummern auch nicht mehr, drei Mobiltelefone hatte er über die Jahre verloren und mit ihnen die gespeicherten Nummern, die Namen, die Erinnerungen.
    Als er den Raum durch die hölzerne Schwenktür betrat, erkannte ihn der Barkeeper wieder.
    »Jochen Berger. Lange nicht da gewesen?«
    »Tja.«
    »Umgezogen?«
    »Ja. Ich musste. Beruflich.«
    »Ah. Getränke wie immer?«
    »Nein. Nur ein Bier. Und was zu essen, bitte.«
    Er aß. Draußen wurde es dunkel, die Straßenbeleuchtung ging mit einem violetten Flackern an. Der Laden füllte sich, die Leute drängten an die Tische und an die Bar, warfen Mäntel über die dunklen Holzlehnen, bestellten Gin Tonic und Whisky. Es war wie damals, als er jeden Abend mit seinen Freunden hier gewesen war, nur dass er von denen, die jetzt ihre
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