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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Grabsteine, denn ich suchte den von Dad.
    Mark Craword
    Diana Strait
    Jason Barker Jr.
    Morris Cooper
    May Goodman
    Helen Stein
    Gregory Robertson Judd
    John Fielder
    Susan Kidd
    Ich musste die ganze Zeit daran denken, dass es die Namen von Toten waren, und dass der Name im Grunde das Einzige ist, was einem Toten bleibt.
    Wir fanden Dads Grab um 01:22 Uhr.
    Der Mieter hielt mir die Schaufel hin.
    Ich sagte: »Fangen Sie an.«
    Er drückte mir die Schaufel in die Hand.
    Ich stieß sie in die Erde und stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht darauf. Ich wusste überhaupt nicht, wie viel ich wog, denn ich hatte mich wegen der ganzen Sucherei nach Dad schon lange nicht mehr auf die Waage gestellt.
    Die Arbeit war extrem anstrengend, und weil ich nicht so viel Kraft hatte, konnte ich immer nur ein bisschen Erde auf einmal wegschaufeln. Meine Arme wurden unglaublich lahm, aber das war okay, denn wir hatten ja nur eine Schaufel und wechselten uns deshalb ab.
    Die zwanzig Minuten waren bald vergangen, und dann ver gingen noch einmal zwanzig Minuten.
    Wir gruben und gruben, aber ohne Erfolg.
    Es vergingen noch einmal zwanzig Minuten.
    Dann waren die Batterien der Taschenlampe alle, und wir konnten nicht einmal mehr die Hände vor Augen sehen. Das gehörte nicht zu unserem Plan, und auch Ersatzbatterien ge hörten nicht dazu, obwohl sie natürlich auf den Plan gehört hätten, sonnenklar. Wie hatte ich etwas so Einfaches und Wichtiges vergessen können?
    Ich rief Gerald auf dem Handy an und bat ihn, uns ein paar Batterien zu besorgen. Er fragte, ob alles okay sei. Es war so finster, dass sogar das Hören zum Problem wurde. Ich sagte: »Ja, hier ist alles okay, aber wir brauchen ein paar Batterien.«

    Er sagte, der einzige Laden, der ihm einfalle, sei eine Viertel stunde entfernt. Ich erwiderte: »Das bezahle ich Ihnen extra.« Er sagte: »Es geht nicht darum, dass du mich extra bezahlst.«
    Zum Glück brauchten wir die Hände gar nicht vor Augen sehen, denn wir gruben ja Dads Sarg aus. Wichtig war nur, dass wir merkten, wie die Schaufel die Erde wegschaffte.
    Also schaufelten wir in Dunkelheit und Stille weiter.
    Ich dachte an alles, was es unter der Erde gibt, zum Beispiel Würmer und Wurzeln und Ton und vergrabene Schätze.
    Wir schaufelten.
    Ich fragte mich, wie viele Dinge gestorben waren, seit das erste Ding auf die Welt gekommen war. Eine Trillion? Gugol plexviele?
    Wir schaufelten.
    Ich fragte mich, woran der Mieter dachte.
    Nach einer Weile spielte mein Handy »Der Hummelflug«, und ich schaute auf die Nummer des Anrufers. »Gerald.« »Ich habe sie.« »Können Sie sie uns bringen, damit wir keine Zeit mit dem Weg zur Limousine vergeuden?« Er schwieg einige Sekunden, bis er etwas erwiderte. »Ja, kann ich machen.« Ich konnte ihm nicht beschreiben, wo wir waren, also rief ich im mer wieder seinen Namen, und er folgte dem Klang meiner Stimme, bis er uns fand.
    Wieder sehen zu können war eine Erleichterung. Gerald sagte: »Ihr seid aber noch nicht besonders weit, ihr beiden.« Ich erwiderte: »Wir graben nicht so glänzend.« Er steckte seine Autohandschuhe in die Jackentasche, küsste das Kreuz, das er um den Hals trug, und nahm mir die Schaufel ab. Weil er so stark war, konnte er ziemlich viel Erde auf einmal wegschau feln.
    Um 02:56 Uhr stieß die Schaufel auf den Sarg. Wir hörten alle das Geräusch und sahen uns an.
    Ich bedankte mich bei Gerald.
    Er zwinkerte mir zu, machte sich auf den Rückweg zum Auto und verschwand in der Dunkelheit. »Ach, ja«, hörte ich ihn sagen, obwohl ich ihn mit meiner Taschenlampe nicht mehr finden konnte, »Janet, die Ältere, liebt Cornflakes und so. Sie würde das Zeug dreimal täglich essen, wenn wir es erlau ben würden.«
    Ich erwiderte: »Ich mag das Zeug auch.«
    Er sagte: »Na, dann«, und seine Schritte verklangen.
    Ich ließ mich in das Loch hinab und fegte mit meinem Mal pinsel die restliche Erde weg.
    Ich war überrascht, dass der Sarg nass war. Vermutlich hatte ich das nicht erwartet, weil ich nicht wusste, wie so viel Wasser unter die Erde gelangen konnte.
    Außerdem war ich überrascht, dass der Sarg an ein paar Stellen Risse bekommen hatte, wahrscheinlich durch das Ge wicht all der Erde. Wenn Dad darin gelegen hätte, hätten Ameisen und Würmer oder zumindest mikroskopisch kleine Bakterien durch die Risse eindringen und ihn fressen können. Ich wusste, dass das eigentlich egal war, denn wenn man tot ist, merkt man ja nichts mehr. Aber warum hatte ich dann trotz dem
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