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Extrem laut und unglaublich nah

Extrem laut und unglaublich nah

Titel: Extrem laut und unglaublich nah
Autoren: Jonathan Safran Foer
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nichts sagen, also schüttelte ich nur den Kopf. »Ich kann dir ja noch eine Geschichte erzählen.« »Danke, lie ber nicht.« »Oder sollen wir in der Times nach Fehlern su chen?« »Danke, Mom, aber ich mag nicht.« »Es war nett von Ron, dass er dir von seiner Familie erzählt hat.« »Wahrschein lich schon.« »Versuch bitte, nett zu ihm zu sein. Er ist ein so guter Freund, und er braucht selbst Hilfe.« »Ich bin müde.«
    Obwohl ich wusste, dass ich sowieso nicht einschlafen konnte, stellte ich meinen Wecker auf 23:50 Uhr.
    Während ich im Bett lag und wartete, dass es so weit war, dachte ich mir alles Mögliche aus.
    Ich erfand ein biologisch abbaubares Auto.
    Ich erfand ein Buch, das sämtliche Wörter aller Sprachen enthielt. Besonders nützlich wäre es zwar nicht, aber wenn man es hielte, wüsste man, dass man alles in Händen hielt, was man je sagen könnte.
    Wie wäre es mit gugolplexvielen Telefonen?
    Wie wäre es, wenn es überall Sprungtücher gäbe?
    Um 23:50 stand ich extrem leise auf, holte meinen Kram unter dem Bett hervor und öffnete die Tür millimeterweise, damit sie nicht quietschte. Bart, der Nachtportier, war an seinem Tisch eingenickt, und das war ein Glück, weil ich so kei ne weiteren Lügen erzählen musste. Der Mieter wartete unter der Straßenlaterne auf mich. Wir gaben uns die Hand, und das fand ich irgendwie krass. Um Punkt Mitternacht kam Gerald mit seiner Limousine. Er hielt uns die Tür auf, und ich sagte zu ihm: »Ich wusste, dass Sie pünktlich sind.« Er gab mir einen Klaps auf den Rücken und sagte: »Glaubst du etwa, ich würde zu spät kommen?« Es war das zweite Mal in meinem Leben, dass ich in einer Limousine fuhr.
    Unterwegs stellte ich mir vor, dass wir stillstanden und die Welt auf uns zurollte. Der Mieter saß während der ganzen Fahrt reglos auf seinem Platz, und ich sah den Trump Tower, den Dad für das hässlichste Gebäude von ganz Amerika hielt, und die Vereinten Nationen, die Dad unglaublich schön fand. Ich ließ das Fenster hinunter und streckte einen Arm ins Freie. Wenn meine Hand groß genug gewesen wäre, hätte ich die Li mousine fliegen lassen können. Wie wäre es mit riesigen Hand schuhen?
    Gerald lächelte mich im Rückspiegel an und fragte, ob wir Musik hören wollten. Ich wollte wissen, ob er Kinder habe. Zwei Töcher, antwortete er. »Und was mögen sie so?« »Was sie mögen ?« »Ja.« »Mal überlegen. Kelly, meine Kleinste, mag Bar bies und Welpen und Armreifen aus Glasperlen.« »Dann mache ich ihr ein Armband.« »Das fände sie bestimmt toll.« »Und was noch?« »Sie mag alles, Hauptsache, es ist flauschig und rosa.« »Ich mag auch flauschige, rosa Sachen.« Er sagte: »Ah, ja? Na gut.« »Und Ihre andere Tochter?« »Janet? Sie mag Sport. Am liebsten spielt sie Basketball, und ich sag dir: Sie kann spielen. Und nicht nur für ein Mädchen, meine ich. Sie ist richtig gut.«
    »Sind sie besonders?« Er musste lachen und sagte: »Als ihr Papa muss ich natürlich sagen, dass sie sehr besonders sind.« »Und objektiv gesehen?« »Wie meinst du das?« »Tatsächlich. Wirklich. In Wahrheit.« »Wahr ist, dass ich ihr Papa bin.«
    Ich schaute noch ein bisschen aus dem Fenster. Wir fuhren über das Stück Brücke, das in keinem der Bezirke liegt, und ich drehte mich um und sah zu, wie die Gebäude immer klei ner wurden. Ich suchte den Knopf für das Schiebedach, und ich stand auf, sodass ich halb aus dem Auto ragte. Mit Opas Kamera machte ich Fotos von den Sternen, und ich verband sie in Gedanken zu Wörtern, zu Wörtern, die mir gerade ein fielen. Kurz vor einer Brücke oder einem Tunnel sagte mir Gerald jedes Mal, ich solle wieder ins Auto kommen, sonst wäre ich gleich einen Kopf kürzer, und darüber weiß ich Be scheid, obwohl ich wirklich, wirklich lieber nichts davon wüss te. In Gedanken verband ich die Sterne zu Wörtern wie »Schuh« und »Trägheit« und »unbesiegbar«.
    Um 00:56 Uhr fuhr Gerald auf den Grasstreifen und hielt genau neben dem Friedhof. Ich setzte meinen Rucksack auf, und der Mieter nahm die Schaufel, und wir kletterten auf das Dach der Limousine, um über den Zaun zu kommen.
    Gerald flüsterte: »Seid ihr wirklich fest entschlossen?«
    Ich erwiderte durch den Zaun: »Es dauert bestimmt nur zwanzig Minuten. Vielleicht auch dreißig.« Er warf die Koffer des Mieters über den Zaun und sagte: »Ich warte hier auf euch.«
    Weil es so dunkel war, knipste ich meine Taschenlampe an.
    Ich richtete ihren Strahl auf ziemlich viele
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