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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben
Autoren: Constantin Gillies
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und in Erinnerungen kramen kann. Alles in allem ein Wochenende, das sicher keine neuen Falten produziert hat. Die Redaktionskonferenz heute Morgen konnte meiner Grundentspannung auch nichts anhaben. Das Karussell der Allgemeinplätze dreht sieh völlig berechenbar weiter, und was an neuen Themen auf uns zukommt, haben wir schon zigmal recherchiert und durchgekaut. Nachdem die Redaktion gestern ausgiebig die Wandstärke vom Kopiererglas bebrütet hat, stehen für die folgende Woche weitere Jahresend-Evergreens ins Haus: die Artikel über a) Weihnachtsgeschenke an Geschäftsfreunde - Kernsatz: »Nichts über 20 Euro annehmen« - und b) gute Vorsätze fürs neue Jahr. Im Kopf bin ich schon mal meine Liste mit Coaches durchgegangen, die ich dazu interviewen werde und die garantiert wieder nicht ohne die Worte »innerer Schweinehund« auskommen. Nick hat glücklicherweise die Redaktionskonferenz verpasst und musste nicht mit anhören, wie unsere leitende Rothaar-Redakteuse diese alten Hündchen als »total spannend« angepriesen hat. Draußen hat es mittlerweile angefangen zu nieseln, und der Blick aus dem Fenster unseres Büroschlauchs ist noch deprimierender als sonst: Seit die Stadt vor fünf Jahren angefangen hat, die U-Bahn auszubauen, sind alle Bäume abgeholzt, und wir schauen auf große Halden mit Kieseln, Bauholz und anderem Zeug; die Straße direkt vor dem Redaktionsgebäude ist obendrein gesperrt, sodass man sich nicht einmal die Passanten anschauen kann. Ich hole mir noch einen Kaffee und warte darauf, dass die Uhr am Rechner halb elf anzeigt - bis dahin haben nämlich die Redakteure ihre Panikanrufe bei den Pressestellen abgearbeitet, und die Damen und Herren in den Unternehmen haben wieder Zeit für subalterne Anfragen. Seit wir in der Redaktion angefangen haben, hausen wir in einer Art Abstellkammer. Dazu diente das Büro jedenfalls mal, hat mir einer der wenigen Kollegen erzählt, die schon länger als fünf Jahre an Bord sind. Jetzt sieht es aus wie ein Büro, das garantiert sämtliche deutschen Industrienormen erfüllt: graue Schreibtische, graue Aktenschränke, Telefone, Rechner vom gefühlten Jahrgang Windows 98. Wahrscheinlich tauscht der Verlag die Rechner nur deshalb nicht aus, weil er zu Recht fürchtet, dass die Mitarbeiter dann nur noch Porno-Clips anschauen. Für mehr als Textverarbeitung und Mails lesen taugt die Kiste nicht, und davon kommen heute wieder reichlich rein. Die Feiertage stehen bevor, und sämtliche PR-Agenturen versuchen, dem Scheiß ihrer Klienten noch mit der Brechstange einen aktuellen Bezug abzuringen. Das Ergebnis sind dann Perlen wie: »Sehr geehrter Herr X, das Weihnachtsfest steht bevor. Doch sollten Sie auch jetzt daran denken, dass der nächste Sommer zahlreiche Gewitter mit sich bringen wird - und durchschnittlich zwei Millionen Blitze. Informieren Sie sich und Ihre Leser rechtzeitig über den idealen Schutz vor Stromschäden ...« Solche Geistesblitze kommen im Minutentakt rein. Gerade als ich zum Telefon greifen will, um Frau Lamar- Schadler oder wie auch immer die nächste Karriereberaterin heißen mag, anzurufen, stürmt Nick rein. Er sieht noch abgerissener aus als sonst: Unter seiner Jeansjacke hängt ein hellbrauner Rollkragen-Pulli raus, der nur noch aus Knötchen besteht und genauso fleckig ist wie seine Lederhose. In die Winkel seiner Augen haben sich kleine rote Äderchen reingefressen, sicher hat er wieder die halbe Nacht irgendein Geekzeug gemacht. Ohne seine Jacke auszuziehen, lässt er sich auf meinen Schreibtisch fallen und fährt seinen mitgebrachten Rechner hoch. Völlig außer Atem stammelt er los. »Alter, ich habe ein Image des gesamten Speichers gemacht und auf den PC transferiert. Rat mal, was ich gefunden habe?« Ich versuche ihn runterzubringen. »Hey, ganz ruuuhig ...« Was soll der deutsche Ingenieur denn denken? »Nix ruhig, schau dir das an!«, schnappt Nick zurück. Er tippt mit dem Zeigefinger auf einen Screenshot, der nicht einmal ein Viertel des Monitors ausfüllt. Ich beuge mich vor, um die Details zu erkennen: Anscheinend soll das die nördliche Halbkugel sein; links liegt, gelb eingefärbt, Amerika, rechts das rote Russland. Genau dieses Bild ist zu sehen, wenn man es geschafft hat, bei Raid over Moscow seine Düsenjäger aus dem Weltraum-Hangar zu manövrieren. Für seine Verhältnisse ist Nick völlig aus dem Häuschen. »Und jetzt pass mal auf!« Mit ein paar Mausklicks blendet er rechts daneben einen zweiten Screenshot ein. »Den
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