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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben
Autoren: Constantin Gillies
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hin. Er steht auf und schlägt ein, mit dem Daumen nach oben. Geek- Wiedervereinigung. »Schön, dass du dabei bist«, sagt er, und ich weiß, dass er es ernst meint. »Dito«, antworte ich. Genug cool gewesen. Wir hauen uns gegenseitig auf den Rücken, und ich lasse mich in den Sitz neben ihm fallen, der so bequem ist wie einer dieser amerikanischen Fernsehsessel. Ich schaue rüber. Nick hat die Datacorp anscheinend mehr Zeit zum Anziehen gegeben: Mit dem leicht geöffneten schwarzen Hemd und der Nadelstreifenhose sieht er aus, als würde er bei einer Werbeagentur arbeiten oder irgendwo im Marketing. Genauer gesagt habe ich ihn in den letzten zehn Jahren nicht so gut angezogen gesehen. Auch mit seinen Haaren hat er irgendwas gemacht, sie wirken kürzer und ich habe den Verdacht, er hat sogar irgendein Styling-Produkt außer einem Kamm benutzt; man könnte jetzt sogar von einer richtigen Frisur sprechen. Von seiner Praktikanten- Aura ist nichts mehr übrig. Ob das Sabinas Werk war? Nein, dann sähe er verkleidet aus. Nick wirkt, als habe er zu keiner Zeit etwas anderes getragen. Ich hätte niemals gedacht, das einmal sagen zu können: Aber wie er da in diesem hellbraunen Ledersessel des Privatjets lümmelt, neben ihm die Armlehnen aus Wurzelholz, könnte man ihn glatt für einen Executive halten, für jemanden, der etwas bewegt. Fehlt nur ein wenig Grau in den Haaren. »Dann lass mal hören«, mehr kriege ich nicht raus. »Sagen wir mal so: Ich bin in L.A. nicht mal bis ans Gate gekommen. Auf dem Weg haben mich zwei nette Herren abgefangen und zu einer kleinen Reise in den Südwesten eingeladen. Mit der Janet Air ging es dann ins Traumland.« »Was?« Meint er womöglich ... Nick kommt meinen Gedanken zuvor. »Lass es mich so sagen: Wir lagen all die Jahre ziemlich falsch, was S4 angeht. Alles halb so spektakulär«, sagt er und zwinkert mit einem Auge. Ich habe keine Ahnung, worauf er anspielt, bin mir aber sicher, dass alles mindestens doppelt so spektakulär ist, nur hat er jetzt keine Zeit, darüber zu reden. Noch nicht. »Und Sabina?«, frage ich. Sofort legt er seine Stirn in Falten. »Wir sind wieder zusammen. « Dann merkt er, dass das im Grund genommen jetzt gar keine Rolle mehr spielt, und knipst sofort wieder sein Jungslächeln an. »Aber sie muss sich wohl dran gewöhnen, dass ich öfter unterwegs bin.« »Ja, sieht so aus, Alter«, sage ich, und wir beide lachen etwas verlegen. Dann stellt sich das übliche Schweigen ein, doch jetzt ist es wieder von der angenehmen Sorte. Es gäbe noch so viel zu sagen, doch nicht jetzt. Timing, die wahre Grundlage jeder Freundschaft. Mit einem leichten Ruck setzt sich die Maschine in Gang; durch das Fenster sind die Lichter der Startbahn in der Nacht zu erkennen, aufgereiht wie an einer Kette. Ich streiche mit dem Finger über das glänzende Furnier entlang der Armlehne; in der Mitte ist ein goldenes X eingelassen. Was da draußen wohl auf uns wartet, hinter dem Ende der Runway? Eine letzte Kurve, dann bremst der Pilot noch einmal bis zum Stehen ab; die Kabinenbeleuchtung geht aus. Und dann sagt Nick es, einfach so, als ob nichts dabei wäre. »Guten Flug!« - ganz ohne »Alter«. Ich drehe mich zur Seite und mustere ihn, so lange wie schon seit Jahren nicht mehr. Im Glühen der Notbeleuchtung funkeln seine Augenwinkel, und für eine Sekunde streift mich sein Blick. Es ist der Blick eines Menschen, der ehrlich versucht, alles richtig zu machen - etwas, das ich nie schaffen werde. Doch seltsamerweise war ihm das immer egal. »Guten Flug, Nick«, sage ich. Voller Schub. Die Triebwerke wenige Zentimeter hinter unseren Köpfen fauchen auf. Erst langsam, dann immer schneller rasen die Runway-Lichter vorbei. Der letzte Hangar huscht vorbei, das rot-weiße Türmchen mit dem Funkfeuer, der Waldweg. Auf einmal verstummt das Rumpeln der Räder, und wir schweben. Guten Flug, Nick, guten Flug. Der Pilot drückt die Maschine in eine steile Linkskurve, und für eine Sekunde ist am Horizont im Osten ein hellgrauer Streifen zu sehen. Das erste Licht des neuen Tages. Niemals hätte ich gewagt, das so zu sagen, aber die Dinge sind gut. Wir sitzen im schnellsten Jet, den man ohne eigene Armee kaufen kann, Richtung Morgen. Auf dem Weg in eine Zukunft, die zum ersten Mal nicht in der Vergangenheit liegt und deren Helden nicht still und leise schon vor Jahren gegangen sind. Und zugleich ist alles so vertraut wie all die Jahre zuvor: Wir, nebeneinander an den Joysticks, bevor das Spiel wieder
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