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Neuland

Neuland

Titel: Neuland
Autoren: Eskhol Nevo
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Juli 2006
Inbar und Dori. Raketen
    To: Dori
    From: Inbar
    Subject: Ich mach mir Sorgen
    Deine Mail-Adresse habe ich über die Homepage Deiner Schule gefunden. Ich weiß, wir hatten ausgemacht, dass wir uns nicht …, aber ich weiß auch, dass sie Dich zum Reservedienst einziehen werden. Bei dem Gedanken stockt mir das Herz. Will nur hören, dass bei Dir alles in Ordnung ist.
    Danach, versprech ich Dir, nerv ich Dich auch nicht mehr.
    To: Inbar
    From: Dori
    Subject: Re: Ich mach mir Sorgen
    Hi,
    ich bin okay. Ich zerstör nicht gern mein Helden-Image, aber letztlich haben sie mich doch nicht eingezogen. Am Morgen nach unsrer Landung bin ich zu meiner Einheit gefahren. Da musste ich den ganzen Tag lang auf den Verbindungsoffizier warten, der entscheiden sollte, was sie mit mir machen. Und siehe da, in der Militärkantine hat sich seit dem letzten Mal nichts verändert.Sogar der Getränkeautomat ist immer noch kaputt. Abends ließen sie mich dann nach Hause, mit dem Hinweis, ich müsse mich in Bereitschaft halten. Sie hätten im Moment genug Vorgeschobene Beobachter, aber vielleicht müsse ich später doch noch in den Norden.
    Wie geht’s Deiner Großmutter? Ist sie wieder mehr bei sich?
    Hier geht’s zu wie im Irrenhaus. Die Eltern meiner Frau aus dem Kibbuz haben sich zu uns geflüchtet, nachdem eine Rakete bei ihnen im Speisesaal eingeschlagen ist, und seitdem ist es hier wie in Neuland: Plenumssitzungen, Tagesplanung, Arbeitspläne. Außerdem kommt meine Schwester oft mit den Kindern, denn sie hat Angst, allein zu schlafen. In allen Ecken liegen Matratzen, so wie bei meinen Onkels in Arad während des Rock-Festivals. Gestern Nacht auf dem Weg zum Klo bin ich auf jemanden getreten und weiß immer noch nicht, wer es war. Vielleicht ein völlig Fremder, der das Durcheinander ausnutzt, um bei uns zu übernachten. Aber vielleicht bin ich der Fremde hier im Haus.
    Auch bei Dir wird es eng sein, mit Deiner Mutter und so, oder? Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee ist, aber – schreib mir.
    Dori
    To: Dori
    From: Inbar
    Subject: Re: Re: Ich mach mir Sorgen
    Hi, Mister Dori,
    hast Du mein Aufatmen gehört? Hat es die Steigung zum Castel hinauf und bis nach Jerusalem geschafft?
    Toll, dass Du geantwortet hast. Und gut, dass Du nicht an der Front bist. Das heißt, ich bin mir sicher, dass Du der allerbeste Vorgeschobene Beobachter in der Armee bist, aber aus meinem engen,besorgten Blickwinkel heraus hoffe ich, dass sie auch weiterhin ohne dich auskommen.
    Auch bei mir ist es wie im Irrenhaus.
    Meine Großmutter, weil du gefragt hast, bewegt sich zwischen Momenten absoluter Klarheit und völliger Verwirrung, und in beiden Aggregatszuständen streitet sie ununterbrochen mit meiner Mutter.
    Das hört sich etwa so an: Du sagst mir nicht, was ich – Ich sage dir sehr wohl, was du – Es ist heiß, ich mach die Klimaanlage an – Klimaanlagen sind ungesund, Hanna – Die sind sehr wohl gesund – So gesund, wie in Deutschland zu wohnen? – Mein Freund ist nun mal Deutscher, was soll ich machen – Was hat er in der Schoah gemacht? – Das hab ich dir doch gesagt, Mama, da war er noch ein Kind – Und was hat sein Vater gemacht?
    Und als ob das nicht schon genug wäre, ist auch noch mein Vater plötzlich eingetroffen. Er hatte die Flugtickets schon lange gebucht, und von Australien aus sah das hier für ihn aus wie »ein Einsatz von ein paar Tagen, aber kein richtiger Krieg«, und so sind sie hier gelandet, er und seine neue Frau und mein Halbbruder; sie haben ein Zimmer im Hotel und besuchen mich zu vorher abgesprochenen Zeiten, damit meine Mutter rechtzeitig aus dem Haus gehn kann. Verstehst du? Und ausgerechnet so eine wie mich lassen sie in der Ratgebersendung über Familienprobleme die Hörer auswählen, die live zu dem Psychologen durchgestellt werden.
    Und das ist noch nicht alles. Gestern haben wir uns vor dem Fernseher versammelt und versucht hochzurechnen, wo die Raketen runterkommen werden, mit denen Nasrallah »Ziele jenseits von Haifa« anzugreifen droht, und Ejtan fragte, ob es in Ordnung wäre, auch seine Familie noch aufzunehmen, falls sie bis nach Jokneam kommen, und ich sagte, fünf Leute mehr oder weniger, was macht das schon.
    Denkst Du überhaupt noch daran, Mister Dori, dass wir vor wenigen Tagen noch in Neuland waren? »Plötzlich erscheint es mir sehr weit weg«, sagen die Leute doch immer, aber das stimmt nicht, fürmich jedenfalls nicht. Ich spreche noch ab und zu Leute auf Spanisch an, ich
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