Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neuland

Neuland

Titel: Neuland
Autoren: Eskhol Nevo
Vom Netzwerk:
Jerusalem, hatte er Angst gehabt, sie könne ersticken, und hatte ihr, nachdem sie eingeschlafen war, die Decke vom Gesicht gezogen. Mit der Zeit hatte er sich daran gewöhnt.
    Er folgt der Haarsträhne mit dem Finger, bis er Ronis Kopf erreicht, da dreht sie sich zu ihm um, breitet die Arme aus und zieht ihn an sich, für eine Umarmung, die ihn überrascht. Die ganze letzte Woche hatte sie sich verhalten, als könne sie seine Abreise kaum erwarten. An den Abenden hatte sie sich mit der Erklärung »Diese E-Mails schaffen nur immer neue Arbeit!« in ihr Arbeitszimmer zurückgezogen, und einmal, als er sie im Schutze der Dunkelheit anfassen wollte, nachdem sie die Leselampen ausgeschaltet hatten, war sie zusammengezuckt und ihr ganzer Körper in Alarmbereitschaft. Pass auf dich auf, dort, sagt sie jetzt zu ihm. Sie hält die Augen noch geschlossen, und er fragt sich, ob sie diese Bewegungen wirklich im Halbschlaf macht oder das nur vortäuscht, ob sie seinen Blick meidet, wie die ganze letzte Woche. Und vielleicht auch schon das ganze letzte Jahr.
    Pass auf Neta auf, sagt er, legt ihr wieder die Decke über und denkt, ich fahre wirklich. Das passiert wirklich. Danach zieht er seinen Ehering ab, legt ihn auf die Kommode, denn da, wo er hinfährt, trägt man sein Gold nicht offen. Er geht zurück ins Wohnzimmer, löscht alle Lichter, außer das im Badezimmer, denn Neta schreit, wenn man es ausmacht, er atmet ein letztes Mal die Luft von Zuhause ein, denkt wieder, was hab ich vergessen, was hab ich nur vergessen, verdammt, schließt die Tür zweimal ab, legt den Schlüssel in den Sicherungskasten neben den toten Kakerlaken, der da schon seit Monaten auf dem Rücken liegt, und keiner räumt ihn weg.
    Nachtluft dringt in seine Nasenflügel, wird aber schnell vom Zigarettengeruch des Taxifahrers verdrängt, der ihm anbietet, seinen Koffer in den Kofferraum zu heben. Der Fahrer ist etwa im Alter seines Vaters, und so hebt er den Koffer selbst hinein, setzt sich dann auf den Rücksitz und legt seine Reisetasche neben sich.
    Es geht auf Reise?, fragt der Taxifahrer.
    Ja, sagt Dori kurz, trocken, so sachlich wie möglich.
    Business oder Pleasure?, forscht der Fahrer weiter.
    Weder noch, gibt Dori zu.
    *
    Erst als er in der Abflughalle das Logo des Mobiltelefonanbieters sieht, fällt es ihm ein – sein Handy. Shit, das hat er vergessen. Ein Glück, dass es hier eine Zweigstelle gibt, denkt er sich, doch als er näher kommt, informiert ein Schriftzug: »Demnächst eröffnet hier eine Servicestation für Sie.« Für mich ist demnächst zu spät, denkt er. Wie soll ich jetzt mit Ze’ela Kontakt aufnehmen? Wie Roni mitteilen, dass ich heil gelandet bin? Er schaut auf die Uhr. Noch fünfzig Minuten bis zum Start. Unmöglich, noch einmal nach Hause zu fahren. Außerdem hat er die Passkontrolle, den »Point-of-noreturn«, bereits passiert.
    Ein junges Mädchen geht an ihm vorbei, das Telefon ans Ohr gepresst. Da packt ihn ein krimineller Drang, von einer Art, die ihn in letzter Zeit zu oft überkommt: Wie zufällig mit diesem jungen Mädchen zusammenstoßen und ihr das Telefon entreißen! Er atmet tief durch, lässt den Drang vorübergehen und macht sichauf zum Café des Terminals. Während er in der Schlange wartet, kommen zwei junge Typen und eine junge Frau auf ihn zu und bitten ihn, ein Foto von ihnen zu machen. Was gibt’s da zu fotografieren, sagt er sich, ihr habt ja noch gar nichts gemacht, willigt aber trotzdem ein und wartet, dass sie sich auf eine Pose einigen – die Arme seitlich weggestreckt, als wären sie ein Flugzeug –, und er richtet das Kreuz des Suchers auf den Ausschnitt des Mädchens und drückt ab, gibt den Apparat zurück und fragt, wohin sie denn fliegen. Nach Quito, sagt einer der Typen, mit Anschlussflug über Barcelona, und Dori beobachtet sie von Neuem und wundert sich über diese Zusammensetzung, zwei Männer und eine Frau, ist doch klar, dass das mit Tränen enden wird, und er antwortet ihnen: Ich auch. Sie fragen ihn, für wie lange er nach Südamerika fahre, und er sagt, das wisse er noch nicht, er habe noch kein Rückflugticket, und das junge Mädchen lächelt ihn an, dabei sieht man einen abgebrochenen Zahn, und sagt zu dem jungen Mann, der etwas weiter von ihr entfernt steht: Siehst du, Tobi, hab ich dir ja gesagt, so muss man reisen, und der meint, jetzt mach mal halblang, das Rückflugticket haben wir doch nur deinetwegen gekauft, und der andere, der näher bei ihr steht, erklärt, Noya
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher