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Grappa 08 - Grappa und die fantastischen Fuenf

Grappa 08 - Grappa und die fantastischen Fuenf

Titel: Grappa 08 - Grappa und die fantastischen Fuenf
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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Niemals schöne Bilder
    Der Fotograf war ein kleiner, magerer Kerl mit Wieselgesicht, der giftig werden konnte. Er soff, rauchte wie ein Geisteskranker, hustete, wenn er Stress hatte, und war insgesamt ein in sich zerrissenes Stück Mann, das den Zeitpunkt für was auch immer verpasst hatte. Er wurde Solo genannt und machte geniale Pressefotos. Der Typ zauberte Sensibilität und Kreativität in die kleine schwarze Kiste, die um seinen unrasierten Hals baumelte, und verwandelte beides in hinreißende Bilder. Sie brachen das Herz oder drehten einem den Magen um. Seit einem Jahr arbeitete er nur noch für eine internationale Fotoagentur, die erstklassige Bilder in alle Welt verscherbelte. Solo konnte sich seine Termine aussuchen, und er wählte nur die interessantesten.
    Ich kannte ihn seit seiner Volontärszeit beim Bierstädter Tageblatt . Das war lange Jahre her. Schon damals hatte mich sein ungewöhnlicher Blick fasziniert – er schoss niemals schöne Fotos. Seine waren unverschämt wahr, grausam entlarvend und unversöhnlich-unerbittlich. Solo hatte es schon als Berufsanfänger geschafft, bei IG-Bergbau-Jubilarehrungen, Goldenen Hochzeiten und Hundeschauen striktes Fotografierverbot zu bekommen. Seine Wahrheit wollten die Leute nicht sehen.
    Mich wunderte, dass er sich heute Morgen für diesen Termin so früh aus dem Bett begeben hatte. Der Mann sah nach wenig Schlaf und viel Alkohol aus. Ich hob die Hand und winkte.
    »Hallo, Grappa«, nuschelte Solo. »Immer noch bei dem Käseblatt?« Er war wirklich nicht ganz nüchtern.
    »Sicher«, meinte ich knapp.
    »Hat also nicht geklappt mit der großen Karriere bei Stern oder Spiegel ?« Damit legte er den Finger in die Wunde aller Lokaljournalisten, die irgendwann ihre Träume vom Pulitzer -Preis abgehakt hatten.
    »Man kann's sich nicht immer aussuchen«, sagte ich und bemerkte, wie die Unmutsfalte zwischen meinen Augenbrauen erschien. »Ich bin bei unserem Blatt für die Krawall-Geschichten zuständig. Alles, was viel Arbeit und wenig Ruhm einbringt.« Warum verteidigte ich mich eigentlich?
    Solo grinste schief. Seine Zähne waren nikotingelb, das ehemals volle Haar schütter und stumpf. Blendend schien es ihm nicht zu gehen.
    »Die Leser mögen das, was ich schreibe. Ich bekomme viele Zuschriften auf meine Artikel«, ergänzte ich wahrheitsgemäß.
    »Ach? Morddrohungen oder Heiratsanträge?«
    »Du hast dich nicht verändert. Noch immer der alte Zyniker. Für wen bist du eigentlich heute da? Welcher deiner weltberühmten Kunden interessiert sich für ein Ereignis in unserem beschaulichen Bierstadt?«
    »Ich mach's nur für mich«, behauptete Solo. Er zerrte mit zitternden Fingern eine Filterlose aus der Schachtel. Sie brach in der Mitte durch und fiel zu Boden. Er hob eine Hälfte wieder auf, gab ihr Feuer, sog den Qualm ein und hustete. Es kam von tief unten.
    »Also – sag schon!«, bohrte ich weiter. »Dich interessieren doch sonst nur Bilder von Menschen in außergewöhnlichen Lebenslagen.«
    »Eben«, kam es knapp. »Aber es müssen nicht unbedingt Lebenslagen sein.«
    Ich verstand nicht, was er meinte. Auch egal. Heute war sowieso alles anders. Normalerweise lag ich sonntags um halb sieben friedlich schlummernd im warmen Bett. Ein leichter Wind strich über das Pflaster. Es war Sommer, doch mich fröstelte.
    Ich sah mich um. Auf dem Platz hatten sich inzwischen etwa zwanzig Journalisten versammelt, Schreiberlinge wie ich, Radioreporter und Fernsehteams. Polizisten überprüften die Presseausweise und sorgten dafür, dass neugierige Bürger hinter der Absperrung blieben. Ab und zu flatterten schlaftrunkene Tauben taumelnd aus der Fassade des großen Kaufhauses gegenüber, landeten auf der gepflasterten Fläche des Platzes und hielten nach Essbarem Ausschau.
    Die Schaufenster der Geschäfte ringsum waren mit Pappe und Decken verhängt, Gaststätten und Bistros hatten ihre Tische und Stühle zusammengeräumt, der persische Teppichhändler hatte pünktlich zum Ereignis einen Sonderschlussverkauf mit bis zu 80 Prozent herabgesetzten Preisen plakatiert.
    Ich betrachtete das große Gebäude, um das sich heute alles drehen sollte. Es lag wie ein gestrandetes Schiff auf Grund. Leergezogen, ausgekratzt, aufgegeben. Mehrere Wasserwerfer besprühten die Steine. Knapp vierzig Jahre lang war hier die städtische Bibliothek untergebracht gewesen. Sie lag im Herzen der Stadt auf einem Gelände, das das Interesse millionenschwerer Investoren geweckt hatte. Zunächst hatte
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