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Neuland

Neuland

Titel: Neuland
Autoren: Eskhol Nevo
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vielleicht treffen?
    Ich weiß, das ist gewagt, aber erstens stellte schon Don Angel fest, dass ich von Natur aus mutig bin. Und zweitens hab ich keine Lust mehr, Dir zivilisierte Mails zu schreiben, die vertuschen wollen, dass ich wild drauf bin, Dich zu sehen, und drittens bin ich nächste Woche in Jerusalem, am Montag.
    To: Inbar
    From: Dori
    Subject: Re: Eine Idee
    Ich glaube nicht, Inbar. Es ist schon verlockend. Äußerst verlockend. Unsere Gespräche fehlen mir sehr. Wenn ich im Radio höre, das Hinterland beweise Standfestigkeit und »einen starken Nacken«, denk ich an Deine Hand, als Du mir auf dem Weg nach Neuland den Nacken gestreichelt hast. Aber ich kann mich mit Dir nicht treffen. Nicht jetzt. Und vermutlich auch später nicht. Schon diese E-Mails sind für mich ziemlich kompliziert. Ich bin nicht der Typ dazu, verstehst du. Ich hab noch nie etwas geheim halten können. Ich freu mich für Dich (ehrlich), dass Du Deine Entscheidunggetroffen hast. Aber bei mir ist das etwas komplexer. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, Dich da mitreinzuziehen – aber ich will es mal so sagen, auch bei mir sind Fragen hochgekommen, einmal wegen allem, was mit meinem Vater passiert ist, und wegen der Begegnung … mit Dir. Aber bei mir geht es um drei Leute. Und wie hat Don Angel doch gesagt: Die Geometrie des Dreiecks ist eine höchst komplexe Sache.
    Mein Großvater, Fima, hat mir mal gesagt: Mach nur nicht den Fehler, den ich gemacht habe: das ganze Leben damit zu vertun, an eine andere Frau zu denken. Deshalb schlage ich Deine Einladung aus, denn auch ohne dass wir uns treffen, denke ich ziemlich viel an Dich. Bitte versteh das.
    Dori
    P.S. Die Nächte hier können ziemlich kalt werden, wenn Du also nach Jerusalem kommen solltest, nimm eine Chaquetita mit.
    To: Dori
    From: Inbar
    Subject: Fima?
    Meine Großmutter hatte einen Reise-Liebhaber, der hieß … Fima. Sie hat ihn auf dem Schiff nach Palästina getroffen, und ich hab keine Ahnung, ob zwischen ihnen überhaupt was gelaufen ist, aber seitdem hat sie nur noch von ihm geträumt und meinem Großvater morgens ihre Träume erzählt. Ich wäre an seiner Stelle eifersüchtig geworden – einige der Träume waren nämlich sehr eindeutig, aber er hat ihr nur zugehört und dabei geduldig ihre Hand gestreichelt. Nach seinem Tod habe ich diese Aufgabe übernommen. Ich hab sie immer auf dem Weg zur Arbeit angerufen, und wir haben uns erzählt, was wir letzte Nacht geträumt haben. Auch die peinlichsten Sachen.
    Ihr Zustand hat sich in den letzten Tagen verschlechtert. Während das Verhältnis von Momenten der Klarheit und Momenten der Verwirrung vorher etwa fifty-fifty war, ist es jetzt twenty-eighty. Zum Beispiel kann sie sich Ejtans Namen nicht merken. Sie nennt ihn bei allen Namen meiner früheren Freunde, nur nicht bei seinem. Er ist nicht beleidigt, dazu ist er nicht der Typ. Aber wenn sie meine Mutter beim Namen einer ihrer Freundinnen nennt, dann ist die sehr beleidigt. Sie pflegt sie weiter, aber immer, wenn meine Großmutter ihren Namen falsch sagt, bekommt sie ein graues Haar mehr. Mich erkennt meine Großmutter immer. Tsipke Fayer nennt sie mich, Feuervogel. Und manchmal auch Inbari.
    Jeden Morgen setzt sie sich auf den Stuhl, den sie aus ihrer Wohnung hierher mitgebracht hat, gegenüber dem Fenster, und bittet mich, den Ventilator vor sie zu stellen, auf Stufe drei anzuschalten und ihr einen Schwarztee von Wissotzky zu machen, nicht »eine dieser neuen Sorten mit ihren lächerlichen Namen«. Wenn ich ihr das dampfende Glas bringe, nimmt sie einen kleinen Schluck und bittet mich dann, ich möge das Zimmer verlassen, denn sie müsse jetzt etwas machen. Gestern konnte ich mich nicht mehr beherrschen und habe sie gefragt, was sie denn allein in dem Zimmer mache. Da schwieg sie einen Moment, nahm noch einen Schluck und sagte: Was kann eine Frau in meinem Alter schon machen? Sich erinnern.
    Zum Schluss bin ich doch nicht nach Jerusalem gefahren. Ich hatte da auch nicht wirklich eine Verabredung. Ich bin die Tochter von Jossi Benbenisti, verstehst Du? Ich belüge die Welt und mich selbst die ganze Zeit. Mit Dir hab ich versucht, mich zu beherrschen, aber wenn einer Skorpion ist, sticht er immer irgendwann zu.
    Aufrichtig Dein,
    Señorita Inbar
    P.S. Das Haus meiner Großmutter hat gestern einen Volltreffer abgekriegt. Das war’s dann. Sie hat kein Haus mehr, in das sie zurückkehren kann. Auch jenseits der Grenze haben Tausende von Menschen keine Häuser mehr. Und
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