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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben
Autoren: Constantin Gillies
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Band aus der Hülle und reiche es ihm zum Einlegen. Was immer dich happy macht, Dude, was immer dich happy macht. Ich schaue mir das Cover an. Respekt - ein Originaltape, das ist schon was Besonderes. Bisher haben wir nur gecrackte Games gespielt, die irgendjemand auf eine Billigdiskette gehauen hat, um sie im Regen auf dem Schulhof schnell gegen andere Games oder ein Raider einzutauschen. Für uns waren die Spiele nicht mehr als eine Handelsware, eine Handvoll Bytes, ein Mittel zum Zweck. Aber das Band hier ist anders: ein Gesamtkunstwerk, wie es sich der Programmierer vorgestellt hat, und obendrein ein Stück Geschichte. »Play it like there's no tomorrow« schreit es in großen gelben Buchstaben von der Hülle; darüber sieht man ein Flugzeug im Tiefflug durch Moskau rasen. Wie damals üblich hat das Airbrush-Bild auf dem Cover absolut keine Ähnlichkeit mit der kruden Klötzchengrafik, die einen später im Spiel erwartete. Im Endeffekt war das nur ein Sidescroller, bei dem man mit einem Düsenjäger irgendwelche Öltanks abschießen musste. Play it like there's no tomorrow - das ist schon Kalter Krieg pur. Das war damals wirklich ein Thema, wenn auch kein besonders großes. Ich erinnere mich noch, wie wir mit der Schulklasse mal im Phantasialand waren, einem Freizeitpark in der Nähe der damaligen Hauptstadt Bonn. Anfang der Achtziger muss das gewesen sein, kurz nach dem Amtsantritt von Kohl. Während wir uns gerade im hawaiianischen Fischerdorf eine Zuckerwatte kauften, zeigte einer unser Mitschüler zum Himmel und brüllte: »Ein Awacs - geil!« Und tatsächlich: In diesem Moment rauschte eine dieser Boeings mit riesiger Radar-Untertasse über unsere Köpfe. Dass die Amis in diesem Moment mit ihrem Langstrecken-Radar den Luftraum bis zur polnischen Grenze nach russischen Migs absuchten, fanden wir hauptsächlich cool, mehr aber auch nicht. Über die geopolitischen Hintergründe machten wir uns keine Sorgen, eher darüber, ob wir uns noch mal an der Wildwasserbahn anstellen sollten. So sehr nahm uns der Kalte Krieg damals mit. Heute gibt es das Tiki-Idyll natürlich nicht mehr, und über den Park donnern nur noch die Maschinen der Billig-Airlines im Anflug auf Köln-Wahn - oder Bundeswehrmaschinen, die nach Afghanistan, Timbuktu oder weiß Gott wohin fliegen. Nick hat das Tape in die Datasette gefummelt und gibt LOAD ein. Ein weiterer zum Mythos gewordener Satz erscheint auf dem Fernseher:
     
    PRESS PLAY ON TAPE
     
    Nick folgt der Anweisung, und mit einem lauten Schleifgeräusch fährt das Band an. Nach einigen Sekunden baut sich eine amerikanische Fahne auf dem Bildschirm auf, und die US-Nationalhymne zerrt in einer 8-Bit-Version aus dem alten Grundig. So etwas wie eine Fünf-vor-zwölf-Stimmung haben wir Jungs damals nicht gespürt. Für uns war der Kalte Krieg eher so eine Art Geisterbahn. Die Luftschutzsirenen auf Frankie goes to Hollywoods »Two Tribes« zu hören, das hatte eben diesen Gänsehaut- Faktor, da konnte man den Mädels im Partykeller gleich noch ein Glas Criss zur Beruhigung einschenken. Und erst dieses amtlich klingende Voice-over mit der Instruktion, im Fall eines nuklearen Angriffs die Opfer mit Namensschildern zu kennzeichnen, bevor man sie - bitte rasch - aus dem Haus schafft. Ganz schön gespenstisch. Lag wahrscheinlich am Alter, dass wir das alles nicht ernst genommen haben. Und obwohl es in Spielen wie Green Beret völlig ungeschminkt darum ging, möglichst viele Russen abzustechen, kam bei uns nie so recht ein Feindbild auf. Da brauchte uns der singende Zeigefinger Sting gar nicht zu belehren, dass die Russen ihre Kinder auch lieb haben. Für Fünftklässler war Breschnew nicht mehr oder weniger real als der Bösewicht bei James Bond, der immer seine Katze im Schoß streichelt. Oder Sex. Vor ein paar Jahren haben sie in Polen ja angeblich die detaillierten Angriffspläne der Russen gefunden, abgezeichnet von Jaruzelski höchstpersönlich. Mit blauen Linien soll darauf die geplante Invasionsroute der sowjetischen Panzer eingezeichnet sein, von Salzwedel über Hannover bis nach Holland. In sieben Tagen wären sie am Rhein gewesen, sagen die Militärhistoriker. Neben Bremen, Bremerhaven und Antwerpen haben die Russen angeblich rote Bömbchen eingemalt - Zeichen für einen geplanten Atomangriff auf die Stadt. Für diesen Fall sollen die Amis auf der anderen Seite sogar schon ein passendes Codewort parat gehabt haben - »Nucflash«. Das erinnert mich an unseren Plan, mal Point Alpha in
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