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Extraleben

Extraleben

Titel: Extraleben
Autoren: Constantin Gillies
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Hessen zu besuchen. So hieß damals der östlichste Beobachtungsposten der Amis in Deutschland, ein paar Wachtürme in einem Kiefernwald, direkt vor dem Fulda Gap , durch den die Russen - so vermutete man - im Falle eines Angriffs anmarschieren würden. Ist ja Gott sei Dank nichts draus geworden. Wir sind wohl der einzige Jahrgang, der das Glück hat, Mahnmale eines Krieges besuchen zu können, der nie stattgefunden hat. Knack, die Kassette stoppt plötzlich. Jetzt müsste eigentlich der Sturm auf Moskau mit diesem hammerschweren Level anfangen, bei dem man seine Flugzeuge aus dem Weltraum-Hangar navigieren muss. Doch nichts tut sich. Nick haut auf die Tasten »Run-Stop/Restore« und der Bildschirm schaltet wieder aufs vertraute Dunkelblau zurück.
     
    READY
     
    »Und jetzt?« »Tja, scheint kaputt zu sein.« Anders als bei modernen Rechnern lassen sich Programme beim C64 nicht einfach per Klick starten, zumal es keine Maus gibt, mit der man klicken kann. Die Sache ist komplizierter: Software besteht hier nur aus Bytes, die irgendwo im Speicher des Rechners abgelegt werden. Damit der Nutzer sich diese Adresse nicht merken muss, haben die Spiele eine einzige BASIC-Zeile, in der der Startpunkt vermerkt ist, also zum Beispiel SYS 2048 für ein Programm, das an der Speicheradresse 2048 anfängt. Dann muss man nur noch RUN eingeben, und es geht los. Doch bei unserer Version von Raid over Moscow fehlt die Zeile. Na und? Jeder normale Mensch würde sich damit abfinden, dass Moskau ein schönes Land ist - ha-ha-ha-ha-ha -, und erleichtert in die hochauflösende Realität zurückkehren. Aber nicht Nick. Jetzt ist der Informatiker in ihm erwacht. Wie wild gibt er SYS-Befehle ein, stochert im Dunkel des Speichers nach der Startadresse. Zunächst versucht er es mit 4096, 8192, 49152; das sind die runden Hexadezimalzahlen $1000, $2000, $C000,an denen Programmierer oft ihren Code beginnen lassen. Nichts. Ich habe die Hand schon am Aus-Schalter, da versucht Nick einen letzten, völlig banalen Trick: SYS49153 - er sucht nach einem Programm, das bei C001 startet. Manchmal ließen die Coder früher bewusst das erste Byte weg, genau um wilde Rumtipper wie uns draußen zu halten. Schlagartig verdunkelt sich der Bildschirm. Buchstabe für Buchstabe baut sich ein Text auf, wie live getippt:
     
    WELCOME TO DATACORP
     
    »Oh Mann, was für ein Filmklischee. Fehlt nur noch ein Tastaturpiepsen«, nörgelt Nick. Typisch: Er hat diese deutsche Ingenieurs-Unaufgeregtheit perfektioniert, diese totale Konzentration auf die Technik. Von etwas aus der Ruhe gebracht zu werden ist in seinen Augen eine Schwäche. Vielleicht stand er deshalb so auf diese Schlaftablette Sabina? Die nächsten Worte erscheinen: YOU HAVE TAKEN YOUR FIRST STEP INTO A LARGER WORLD »Star Wars!«, brüllen wir unisono. Das ist natürlich ein Fall. für Lexikon-Nick: »Diesen Satz sagt Obi-Wan Kenobi, als Luke beim Training mit dem Laserschwert zum ersten Mal die Macht spürt, an Bord des Rasenden Falken, in Teil Eins, äh, Episode IV.« So, als habe er unser Geschrei gehört, antwortet der VICII-Videochip mit der nächsten Zeile: STARS In diesem Moment stockt der Cursor, nur ein weißes Dreieck bleibt blinkend stehen. Das war's. »Abgestürzt, würde ich sagen. Die Wargames fallen aus«, witzelt Nick; natürlich eine Anspielung auf den Film mit Matthew Broderick. Dessen Message - thermonuklearer Krieg ist wie Tic Tac Toe, niemand kann gewinnen - fanden wir schon mit elf peinlich. Ich krame schon mal im Fundus nach einer neuen Kassette. »Schade, ist wohl doch nur kaputtes Cracker-Intro ...« »... auf einer Original-Kassette?«, hält Nick dagegen. »Stimmt, komisch.« Ich will schon ausschalten, da reißt Nick meine Hand zur Seite. »Wart mal.« Er verschwindet in seinem Zimmer und kommt mit einem selbst gebastelten Reset-Taster und reichlich Kabeln zurück. »Das schau ich mir mal in Ruhe an.« Diese Ansage kenne ich, jetzt fängt die Bastelei an. Nick wird so lange frickeln, bis er das alte Tape wieder ans Laufen gekriegt hat, da kennt er weder Hunger noch Schlaf. Ich aber schon, deshalb streiche ich die Segel: »Bin mal weg.« »Hm«, sagt Nick, während er schon neben dem Brotkasten kniet und Kabel zieht. Als ich unten am Kiosk vorbeikomme, schließt der ukrainische Besitzer gerade die Tür zu.
     
    LEVEL 03
     
    Die Vorhänge vor den Fenstern zum Innenhof wiegen sich im warmen Wind. Damit es hier drinnen nicht zu heiß wird, hat die Maid heute Morgen die hölzernen
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