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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie
Autoren: Constantin Gillies
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Südfrankreich, wo Papa immer hinfahren wollte. Das wärs: eine Familie haben, die man da runterkutschieren kann, mitten in der Nacht losfahren, die Kinder schlafen lassen und erst aufwecken, wenn schon die Lavendelfelder vorm Fenster vorbeiziehen. Wo bleibt John nur? Will er nicht mal zugucken, während seine Jungs ihre Arbeit tun? Ich hätte erwartet, dass er uns - wenn überhaupt - zumindest selbst erledigt. So was zu delegieren passt nicht zu ihm, dem Gentleman. Seltsam, John scheint gar nicht zu bemerken, was für ein Zauber bei uns hier drüben abläuft. Er stürzt immer weiter auf die Landebahn zu. Sein Sakkozipfel zappelt nervös hin und her, wie ein Wipfel an einem Ausflugsdampfer. Plopp. Was war das? Eine rote Wolke schießt aus Johns Bein. Sein Körper sackt nach vorne, als ob ihm jemand mit einem unsichtbaren Balken ins Kreuz geschlagen hätte. Er stolpert, kann sich nicht mit den Armen abfangen, kracht mit dem Kiefer voll auf den Beton. Das Geräusch eben, natürlich, das war ein Schuss. Sie haben ihn erschossen. Ich drehe mich um. Nick hat den Kopf auch nach oben gereckt, kneift die Augen angestrengt zusammen. Spucke und Tränen tropfen an seinem Kinn runter. Er schaut einen Moment lang ungläubig, dann lässt er die Stirn entkräftet auf den Beton sinken. Der Boden riecht wirklich gut. Viele Menschen sind hier, auf einmal, ganz viele. Sie berühren uns nicht, aber sie sind da. Der Boden zittert unter ihren Schritten. Ob sie zu John gehören? Nein, das sind die, die ihn erschossen haben. Im Prinzip war er ja okay, irgendwie. Ich öffne die Augen nochmal einen Spalt, so wie damals, als ich bei Nick so getan habe, als würde ich nicht hingucken, welchen Weg er zu Josephs Brüdern fährt. Das Gitternetz der Betonfugen verliert sich in der Ferne. Wie ein schlechtes LP-Cover aus den Achtzigern; fehlt noch die Chromkugel auf der Fluchtpunktebene. John hat es noch bis an den Rand der Runway geschafft, dann hat sein früher so stählerner Astronautenkörper den Dienst quittiert.
    »It's the saddest moment of my life«, hat Ed White gesagt, als sie ihn nach dem ersten Weltraumspaziergang in die Gemini-Kapsel zurückgezerrt haben. Der traurigste Moment meines Lebens. Schwarze Stiefel kreisen um ihn, wie Raben um einen platt gefahrenen Igel auf der Landstraße. John liegt kopfüber auf dem Asphalt; als ob der Wind zeigen will, dass er noch lebt, zerrt er an einem Haarschopf auf seinem Hinterkopf. Ein ziemlich trauriger Ragdoll-Effekt. Doch so sehr sich der Wind auch anstrengt, Major Tom will sich nicht bewegen. May God's love be with you. Der Endboss ist bezwungen. Game Over.

#50 T-0: 00:01
    Light will now return
    and everywhere
    life will come back
    over the ashes
    of the past.
    This world was saved.
    Okay, es ist nicht Thoreau, sondern nur Turrican - der Abspann, nachdem man den letzten Level überstanden hat. Für einen Moment dachte ich, jetzt wäre der perfekte Moment, die Verse zu zitieren. Doch auf einmal war dieses Verlangen weg, von Sachen zu reden, die schon lange vorbei sind. Ich sehne mich nicht mehr nach dem warmen Gefühl im Bauch, das sich immer dann breitmacht, wenn jemand die alten Games erwähnt oder in Erinnerungen an das Vorabendprogramm schwelgt. Colt Seavers, Jonathan Hart, Remington Steele - die Zeit mit euch war echt schön, aber jetzt ist der Moment gekommen, endgültig Abschied zu nehmen, von der Droge Gestern loszukommen. Die Jugendzeit ist plötzlich so weit weg, so unendlich weit weg, und zum ersten Mal fühlt es sich an, als ob sie uns endgültig losgelassen hätte. Wen interessierts, das ist doch alles schon ewig her. Nick hat den Kopf in den Nacken gelegt und lässt sich genüsslich den NieseIregen über die Stirn laufen, den der Himmel über Tokio uns spendet. Der riesige Space Invader über unseren Köpfen sieht heute Abend nicht bedrohlich aus, sondern eher, als würde er uns zum Abschied zugrinsen. Der Dunst hat um das Neonschild einen roten Heiligenschein gezaubert, genau wie um alle hunderttausend anderen Röhren, Bildschirme, Schriftzeichen. Die Luft über uns glüht, wie ein Wohnzimmer, in dem alle Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet sind.
    »Schön, oder«, flüstert Nick.
    »la.«
    Und weil es so schön ist, bleiben wir einfach stehen, mit den Händen in den Taschen, und starren raus in die Nacht, während um uns herum das Leben pulsiert. Doch es ist nicht unser Leben, nicht unsere Sprache, nicht unsere Stadt. Wir sind nur zwei Fremde auf der Durchreise, die noch einen
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