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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie
Autoren: Constantin Gillies
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alten BMX-Rad vor dem abbezahlten Eigenheim ihre Runden drehen und danach erst mal ein ABC-Pflaster brauchen, weil, Zitat, »der Rücken nicht mehr mitmacht« - ein Satz übrigens, den man im Bekanntenkreis immer häufiger hört. Altern kann eben eine verdammt traurige Angelegenheit sein, auch wenn wir beide von diesem Thema natürlich nicht betroffen sind.
    »Ich bin nicht Rektor, sondern actro«, behauptet Nick steif und fest und erzählt dann - als ob das ein Beweis wäre -, dass er mit seinem Commodore 64 jetzt auch online ist. Mit seinem C64! Aber im Grunde genommen weiß er, dass er in der Vergangenheit lebt, und fühlt sich auch wohl dabei. Dabei ist Nick optisch weder nach vorne noch nach hinten gerichtet. Er hat eigentlich gar keine Richtung, sondern gehört eher zu diesen modelosen Typen. Wenn er was anhat, dann ist das nie richtig modern, sondern höchstens praktisch. Man könnte ein Foto von Nick in jede beliebige Aufnahme aus den Achtzigern, Neunzigern oder von heute einmontieren. und er würde nicht auffallen. Seit ich denken kann, trägt er Jeans oder Cordhosen. eine Jeansjacke und Turnschuhe, die manchmal aus Wildleder und meistens irgendwie Rektor sind. Informatiker-Chic eben. Wie jeder echte Geek träumt er davon, unsichtbar zu sein, und da das noch nicht geht, versucht er in der Zwischenzeit, möglichst wenig aufzufallen. Dabei sieht er nicht mal schlecht aus, ein bisschen wie der junge Emilio Esteves zu Zeiten des Breakfast Club . Als er damals auf dem Abiball eine Krawatte anhatte, konnte man ihn sich sogar gut als Chef von irgendwas vorstellen. An dem Platz, wo wir arbeiten, spielen Klamotten aber ohnehin keine Rolle. In der Redaktion sieht jeder aus, als wäre er gerade aufgestanden. Und da die Assis in der Nahrungskette der Zeitung nur kurz vor den Praktikanten rangieren, wäre es total lächerlich, zu versuchen, »dressed for success« auszusehen. Denn der »success« wird nicht kommen, egal, wie man sich anzieht. Beim Bewerbungsgespräch klang das natürlich noch ganz anders: »Wir wollen diese Stelle zum Researcher ausbauen, nach amerikanischem Vorbild«, hatte der Verlagsheini mit seinem Dreiteiler damals erzählt. In den USA recherchiere schließlich auch kaum ein Journalist selbst, sondern lasse sich alle Fakten von seinem Assi beschaffen. Das sei eine anspruchsvolle »Querschnittsfunktion«, die hier zu besetzen sei, meinte der Typ. Das gleiche Blabla musste sich Nick zwei Monate später noch mal anhören; er war wie üblich, um nichts selbst entscheiden zu müssen, meinem Vorbild gefolgt und hatte sich auf eine andere Assi-Stelle beworben. Nur so als Nebenjob. vorübergehend halt. Spätestens jedenfalls, als wir den Wagen unseres Redakteurs das erste Mal zum TÜV fahren mussten, wurde uns die wahre Bedeutung des Wortes »Querschnittsfunktion. klar: Wir sind Mädchen für alles - und schreiben tun die anderen. Also traben wir weiter mit dem Pulk und fühlen uns sehr amerikanisch. Was nicht heißt, dass wir nichts können. Doch, doch, wir verfügen über ein breites Querschnittswissen. Alles, was in der Redaktion an Software benutzt wird, beherrschen wir im Schlaf, auch Grafik und Layoutzeug, was eigentlich nicht in unser Ressort fällt. Manchmal fragen uns die Kollegen sogar mal, wenn sie nicht weiterkommen. Das gibt einem zumindest für ein paar Minuten das Gefühl, kein totaler Low Potential zu sein.
    »Also, ich finde uns ziemlich kompetent«, sagt Nick in solchen Situationen immer. Und obwohl er danach laut lacht, meint er es tief in sich drinnen, glaube ich, ernst. Das passt zu ihm: Als echter Nerd denkt er wirklich, es reicht im Leben aus, die Softwaretricks du jour zu beherrschen und bei den anderen Geeks in irgendwelchen Foren mitreden zu können. Ich sehe die Sache nüchterner. Unser Problem liegt darin, dass fast alle unsere Bekannten genauso fit sind wie wir. Das bisschen Pixel rumschieben hat heutzutage halt jeder Autodidakt drauf, die paar Fetzen Code kann jeder reinhacken, und hinter hyperteurer Hardware kann man sich - seit dem Tod von Silicon Graphics, 10.000-Dollar-Workstations und jeder Art von Virtual Reality - nicht mehr verstecken. Was wir können, kann jeder, und deshalb treten wir auf der Stelle. Wir sind vom Querschnitt gelähmt. Doch was noch viel schlimmer ist: Man braucht uns anscheinend nicht mal mehr. In letzter Zeit beobachten wir immer häufiger, dass Kollegen mit Computersorgen bei den jungen Praktikanten unten in der Produktion anklopfen. So nervig es
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