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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie
Autoren: Constantin Gillies
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gemerkt haben, dass es die Jungs mit den Flaumbärtchen dann beim Trinkgeld richtig krachen lassen - bevor sie rot werden und wieder auf ihre Bildschirme runterstarren. In der abgewichsten Pachinko-Bude dudelt jene Art von J-Pop, die auf alte Menschen aus der Alten Welt immer so krankhaft optimistisch wirkt. Zwei Typen mit Halbglatze daddeln in dem Saal weltvergessen vor sich hin, starren auf den Automaten, der so quietschbunt ist, dass ein Regenbogen dagegen nach Graustufen aussieht. Now enjoy the music or press space. Mein Gott, wie viel hätten wir an diesem Ort früher zu tun gehabt. Nick wäre ganz fickrig geworden, allein bei dem Gedanken an die ganzen Raritäten, die er jagen könnte. Wir hätten uns beim Vie de France neben der U-Bahn-Station ein Croissant reingeschoben, und dann wären wir mal wieder losgehastet, um den Heiligen Gral zu finden: die goldene Nintendo World Championships-Cartridge von 1990 für das NES. Ganze sechsundzwanzig Exemplare dieser legendären Spielkassetten existieren angeblich auf dem Planeten Erde, weil es das Game nur bei einem Wettbewerb zu gewinnen gab. Sammler blättern längst fünfstellige Dollarbeträge dafür hin, Nick träumt trotzdem weiter davon, mal so ein Teil auf dem Boden irgendeines Kartons in irgendeiner abgeranzten Elektronikbude aufzuspüren - im Sonderangebot für eine Hand voll Yen. Wie immer würden wir die Blaue Mauritius nicht finden und uns aus Frust mit allem eindecken, was alt und billig ist. Schnell, die letzten Artefakte aus der guten Zeit einsacken, bevor sie von der Gegenwart endgültig überrollt werden, von den PetabyteRechnern, den unfassbaren Telefonen, die schon lange keine mehr sind, und von den Bildschirmen. Bildschirm, das war früher Singular, in Akiba - und bald auf der ganzen Welt - ist es eine Landschaftsbeschreibung. Vom wilden Pulsieren der Metropole ist allerdings nicht mehr viel übrig. Wir sind spät dran, schon nach neun, und die Electric Town ist längst eingenickt. Die Otaku-Horden aus aller Herren Länder haben sich mit ihrer Beute in die Hostels zurückgezogen, die meisten Elektronikläden sind mit schweren Metallrollladen verrammelt. Am Rand des sonst so penibel sauberen Bürgersteigs warten kleine Stapel von Plastiksäcken darauf, von der Müllabfuhr morgen Früh eingesammelt zu werden. Nur die niemals müden Neonschilder glitzern weiter in den Pfützen. Neben uns verteilt ein einsames Mädel Flyer. Sie versucht, noch ein paar verlorene Seelen in ein Maid-Cafe zu locken, wo die anderen Mädchen für ein paar Yen eine Stunde lang so tun, als seien sie deine kleine süße Schwester und dir mit Schokoladensauce eine Hello Kitty auf dein Dessert malen. Von ihrer Zimmermädchen-Uniform sieht man nur das Häubchen und die Kniestrümpfe; der Rest verschwindet in einer dicken rosa Jacke, an die sie unten weiße Plüschbären gehängt hat. Wenn niemand sie anguckt, gähnt sie und trippelt mit leerem Blick von einem Bein aufs andere. Auch sie wäre früher viele Worte wert gewesen. Doch wir sind in Gedanken längst woanders: Nick natürlich zuhause, bei Sabina und der kleinen Gianna. Sie werden ihm einen Kuchen backen, einen Kaffee brühen und so lange vor der Tür stehen, bis sein Taxi in die Wohnstraße eingebogen ist. Morgen Früh geht es für ihn nach Hause. Und selbst auf den Hauklotz Kee scheint am Ende des Tages tatsächlich noch jemand warten zu wollen. Andie hatte angerufen und gefragt, ob ich sie nicht nächste Woche in L.A. besuchen wolle, wenn alles geregelt sei. Sie würde mich auch am Flughafen abholen. Seitdem bleibt im Kopf nicht mehr viel Platz für andere Gedanken als den: Die Schiebetür geht zur Seite, dahinter steht Andie, mit einem Kee-Schild und einem Lächeln. Und während wir da so stehen und die seltsamen Gaijins sind, um die alle herumlaufen müssen, passiert es, einfach so. Zuerst ist es nur ein kleines Licht, nicht heller als das Blinklicht am Ende einer Flugzeug-Tragfläche. Aber plötzlich scheint der Himmel zu brennen, und ein gleißend heller Streifen zieht sich quer über den Horizont, von Hochhaus zu Hochhaus, als ob ein Düsenjäger über Tokio hinwegrast und eine Containerladung Wunderkerzen abwirft.
    »Da!«, schreit Nick. Aber noch bevor er den Arm richtig hochreißen kann, ist der Feuerschweif schon wieder verglüht. Für ein paar Sekunden leuchtet er noch auf der Netzhaut nach, dann ist er endgültig verschwunden. Mein Magen krampft sich zusammen, weil er den Knall erwartet, der nach einem Blitz
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