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Extraleben - Trilogie

Extraleben - Trilogie

Titel: Extraleben - Trilogie
Autoren: Constantin Gillies
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dann schön vor dem Eingang verschanzen und einen nach dem anderen abräumen - herrlich. Jeder Strafe , jeder Schritt und Waffenwechsel ist vertraut, jeder Health-Bonus und jedes Armor-Pack tausendmal aufgelesen. Was für Generationen vorher ihre Dorfstraße, die Wacht am Rhein oder der Königssee war, sind für uns die Gassen von Doom , verewigt in den berühmten WAD-Dateien. Als wir den letzten, völlig unmöglichen Level erreicht haben, ist es fast zehn und wir bestellen eine Pizza. Nick nimmt einen fettigen Salami-Lappen und ich einen Salat - mit dem Erfolg, dass mir schon eine halbe Stunde später der Magen wieder knurrt. Im Erdgeschoss seines Blocks gibt es praktischerweise einen Kiosk - einer der Gründe, warum Nick nicht auszieht. Also gehe ich kurz runter, kaufe noch zwei Tüten Chips und ein Clausthaler für mich, für Nick bringe ich zwei Dosen Mezzomix mit. Als ich in die Wohnung zurückkomme, kramt er kopfüber in irgendwelchen Kartons und streckt mir seine Klempnerspalte entgegen.
    »Alter, guck mal, was ich mir ersteigert habe«, sagt er und dreht sich um. Stolz zieht er einen Commodore 64 samt 1541-II Diskettenlaufwerk aus dem Karton. Selbst auf zwei Meter riecht das Zeug schon heftig nach eBay; dieser Duft von Wasserschaden im Keller, Entrümpeln in Opas Wohnung und Flohmarkt. Optisch macht das, was mal Inbegriff der Zukunft war, einen eher antiquierten Eindruck. Das Gehäuse der alten Floppy, ehemals das stolze Spitzenmodell. sieht vergilbt aus wie der Zeigefinger einer alten Lady, die ein Leben lang geraucht hat. Und auch die Plastikhaut des Brotkastens wirkt, als habe er 20 Sommer lang in der Auslage eines Schreibwarenladens gebraten - ohne so eine orangefarbene Folie vor dem Fenster, wie manche Geschäfte sie früher runtergelassen haben. Nick hat noch das Urmodell mit beigen Tasten, später waren die, glaube ich, dunkelbraun. Erfrischt seine alte Diskettenbox raus.
    »Was sollen wir spielen?«
    »Keine Ahnung - schmeiß halt irgendwas rein.«
    Wir schließen dieses seltsame Antennenkabel mit zwei männlichen Steckern stilecht an einen Grundig-Fernseher Baujahr 1982 an und haben schon tierisch Spaß dabei, mit einem Schraubenzieher den richtigen AV-Kanal zu suchen. Der Aufbau und das Prickeln, bis alles läuft, sind ohnehin die Höhepunkte unserer Bastelaktionen; danach geht es mit der Begeisterung meistens bergab. Power on, und die erste Überraschung: Es dauert nur eine halbe Sekunde, dann meldet sich das System mit dem legendären Startscreen, drei Zeilen hellblaue Buchstaben auf dunkelblauem Hintergrund:

    **** COMMODORE 64 BASIC V2 ****
    64K RAM SYSTEM 38911 BASIC BYTES FREE
    READY .
    ▄

    Entspannt blinkt der Cursor vor sich hin, bereit, uns auf eine Zeitreise mitzunehmen. Ich greife in den Schuhkarton. nehme eine Floppy heraus, stecke sie ins Laufwerk und drehe den Knebelverschluss. Nick müht sich währenddessen damit ab, das erste Kommando einzutippen - keine einfache Sache, denn die Tastatur ist anders belegt als heutzutage. Wo normalerweise die Taste für Großschrift liegt, haben die Commodore-Leute Run Stop untergebracht; das kostet Umdenkzeit. Wofür Teenager-Hände nur Millisekunden gebraucht hatten, das muss jetzt quälend langsam im Einfingersuchsystem erkämpft werden.

    LÓ$“,8

    Natürlich, Nick hat noch nicht vergessen, dass man die gängigsten Kommandos wie LOAD oder LIST auch abkürzen kann, indem man nach dem »L«ein hochgestelltes »0« oder »I« eingibt, die beim C64 wie kleine Kringel aussehen. Return. Der Schrittmotor des Diskettenlaufwerks hustet kurz, dann quittiert der Rechner die Eingabe.

    SEARCHING FOR $

    »Machen wir doch, machen wir doch!«, brüllt Nick - ein bewährter Witz aus Zeiten, als wir noch auf »$« in der Form von Taschengeld angewiesen waren. Raschelnd läuft die Scheibe an und spuckt das Inhaltsverzeichnis aus. Barbarian ist drauf, ein guter Start. Wir laden wahllos eine Datei, die so aussieht, als könnte sie das Schwertduell enthalten. Unweigerlich kommt mir der alte Kalauer in den Sinn: »God save the Queen, 8, 1«.
    Keiner, der nach 1975 geboren wurde, hat auch nur die leiseste Chance, den zu verstehen. Warten. Bange Blicke auf den Bildschirm. Läuft alles noch? Die Kiste verlangt mehr Geduld, als wir im Gigabit-Zeitalter gewohnt sind. Dann das erlösende READY. Nick tippt RUN ein. Das Programm läuft tadellos. Nach dem Cracker-Intro dröhnt uns dreistimmiger Synthie-Minnegesang aus dem 5-Watt-Lautsprecher des Fernsehers entgegen. Wir
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