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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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helleres Wissen immer wieder zur Ordnung rufen und ihm sagen, daß das leeres Geträume ist.
    »Wann, denkst du nun«, fragte in sein Geträume hinein Hanns, »wird ›Der Wartesaal‹ fertig?« Sepp riß sich in die Wirklichkeit zurück. »Nicht so bald, du Schlaucherl«, antwortete er lächelnd. »So bald kriegst du mich hier nicht heraus. So ein ›Wartesaal‹ ist eine langwierige Angelegenheit. Aber ein Wort ist ein Wort, und darauf darfst du dich verlassen: sowie ich fertig bin, depeschier ich dir und zieh brav an den Quai Voltaire.«
    »Willst du mir nicht noch aus dem ›Wartesaal‹ vorspielen?« bat Hanns. Das war für Sepp eine starke Versuchung, aber er sagte sich, es habe keinen Sinn. Sowenig er je mit dem Herzen in Hannsens neuer Welt zu Hause sein wird, sowenig je wird der Bub von seiner Musik begreifen. Es ist merkwürdig:der Bub und er sprechen das gleiche Deutsch, das gleiche Bayrisch, sie haben das gleiche Vokabular, den gleichen Tonfall. Aber leider versteht sich der Bub mit vielen, die kein Wort deutsch sprechen, besser als mit ihm, und er kann mit seiner Musik zu vielen sprechen, aber zu dem Buben kann er nicht sprechen. Nein, er wird sich nicht noch diesen letzten Abend versauen dadurch, daß er zu seinem Hanns in einer Sprache zu sprechen versucht, die Hanns fremd ist.
    Er wird ihm lieber etwas Freundliches sagen, er wird ihm zeigen, daß er genau weiß, wieviel er ihm verdankt. »Hast du eigentlich eine Vorstellung, Hanns«, fragte er scheinbar ohne Zusammenhang, »was ein Abbé ist?« – »Keine rechte«, erwiderte Hanns. »Ich auch nicht«, meinte lächelnd Sepp. »Aber ich bilde mir ein, ein Abbé, das ist jemand, der der Kirche aus Neigung dient, aber nicht Schneid genug hat, sich durch ein Gelübde zu binden. So ein Abbé hat große Sympathien für die Kirche, aber den letzten Sprung will er nicht tun, und vielleicht kann er ihn auch nicht tun. Und siehst du, das ungefähr ist mein Verhältnis zu euch, zu euerm Marxismus. Wenn du mich heute fragst, wie ich zu euch stehe, dann sag ich dir: ich bin ein Abbé des Marxismus. Oder wie ihr es in eurer nüchternen Sprache ausdrückt, die keinen Saft und keine Blume hat: ich bin ein Sympathisierender.« Hanns lachte. »Das ist schon allerhand«, erwiderte er, »und ich bin zufrieden mit uns beiden, daß wir es so weit gebracht haben. Dafür nehm ich auch deine Beschimpfungen unseres amusischen Wesens in Kauf. Das Fehlende kommt schon noch, bei dir und bei uns.«
    Sie saßen noch lange zusammen an diesem Abend. Was sie einer dem andern zu sagen hatten, war gesagt, sie machten auch nicht viele Worte mehr, aber sie konnten sich nicht trennen. Beide erinnerten sie sich jener schlimmen Nacht, da sie zusammengesessen waren an dem Bett, in dem die tote Anna lag, beide erschöpft im Innersten, und da Sepp seine sinnlosen, wüsten, verzweifelten Reden geführt hatte. Es waren seither nur wenige Monate vergangen, aber wieviel besser begriffen sie sich jetzt. Wenn auch dies und jenes sie noch schied, im Wichtigstenwaren sie einverstanden einer mit dem andern. Sepp hatte wenigstens mit der Vernunft Zutritt zu Hannsens Welt, und Hanns hatte begriffen, daß Musik die einzige Sepp gemäße Art war, teilzunehmen an dem großen Kampf.
    Am andern Abend dann reiste Hanns ab. Vom gleichen Bahnhof, von dem kurze Zeit zuvor der Parteigenosse Heydebregg zurückgekehrt war in seinen Urwald, fuhr jetzt Hanns in sein drittes Jahrtausend.
    Er hatte sich verbeten, daß ihn jemand zur Bahn bringe außer Sepp. Ein Abschied war immer peinlich, man stand verlegen herum und wünschte, der Zug möge schon endlich fahren. Diesmal wünschte es weder Hanns noch Sepp. Sepp bestrebte sich, munter zu sein, er sprach noch münchnerischer als sonst, er krähte herum, auch lachte er viel. In der letzten Minute indes sagte er nichts mehr, sondern lächelte nur; Hanns, der sonst nicht zu blumigen Wendungen neigte, fand, es sei ein winterliches Lächeln.
    Er selber, Hanns, dachte gleichzeitig an Sepp und an die Mutter und an München und an Paris und ein bißchen auch an Germaine. C’est dommage, quand même, dachte er in dieser letzten Minute; er dachte es noch, als der Zug anfuhr und Sepps lebendiges, jetzt ein bißchen verzerrtes Gesicht ihm langsam entschwand.
    »Zeit lassen«, war das letzte, was ihm Sepp zurief, und: »Zeit lassen«, krähte er noch einmal, als ihn Hanns schon nicht mehr hören konnte.
    Sowie Hanns fort war, verwandelten sich die Mängel des Hotels Aranjuez, die
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