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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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Sepp in den letzten Wochen als Vorzüge erschienen waren, zurück in Mängel. Alles war wieder schmutzig und verschlampt, der »Schuster«, der nebenan Klavier stümperte, gehörte in die tiefste Hölle oder ins Dritte Reich, der filzige Monsieur Mercier verdiente, sich selber den Fuß zu brechen, stolpernd über die nichtreparierte Planke, Haus und Zimmer waren unerträglich. Sepp brannte vor Gier, den »Wartesaal« zu vollenden, er arbeitete wild.
    Und es kam der Tag, an dem er sagen durfte: »Fertig.«
    Und er hörte sein Werk und hörte, daß es gut war. Aber nur er hörte es, Anna hörte es nicht, und Hanns wird es in Moskau hören, sehr fern, und Sepps Freude war gedämpft.
    Er hielt sein Versprechen und teilte Monsieur Mercier mit, daß er in drei Tagen an den Quai Voltaire übersiedeln werde. Monsieur Mercier war betrübt. Monsieur Trotueng war zwar ein lauter Mieter und hatte auch sonst allerlei lästige Absonderlichkeiten, aber er pflegte Rechnungen nicht nachzuprüfen, Monsieur Mercier hatte sich an ihn gewöhnt, er hatte sich sogar vorgenommen, demnächst die schadhafte Planke richten zu lassen. Nun wird die Planke bleiben, wie sie ist, und der nächste Emigrant, der die Zimmer im Hotel Aranjuez bezieht, wird noch oft Anlaß haben, sich darüber zu ärgern.
    Sepp brauchte jemand, dem er den »Wartesaal« vorspielen konnte. Peter Dülken? Der verstand etwas von Musik, doch Sepp mußte jemand haben, der mehr von ihm selber verstand. Es blieb, trotz allem, nur Oskar Tschernigg.
    Da saß denn Tschernigg, ein gedunsenes Riesenbaby, in dem Lehnstuhl, in dem einstmals Harry Meisel seine frechen Theorien von der Souveränität der Kunst vorgetragen hatte. Er saß und hörte. Er dachte an sein eigenes verpatztes Leben, er dachte an Harry Meisel und an Raoul de Chassefierre. Die Musik, die Sepp gemacht hatte, war nicht jene klassische, mathematische, die er von Sepp verlangte, und es wurde immer unwahrscheinlicher, daß der Autor dieses »Wartesaals« jemals Tscherniggs Verse wird vertonen wollen. Nein, er, Oskar Tschernigg, lehnte Sepps neues Werk ab, und er formte an bittern, bösartigen Sätzen, mit denen er es verhöhnen könnte. Allein es war zuviel Musik in ihm, als daß ihn nicht trotzdem »Der Wartesaal« gepackt hätte.
    Sepp, während er sich am Klavier abmühte, schaute schräg hinüber zu Tschernigg, der mit halbgeschlossenen Augen zuhörte, und er sah, wie ergriffen das schlaffe, gescheite Gesicht des Freundfeindes war. Da wußte Sepp, er hatte gewonnen. Gutmütig lachte er über die geschliffenen, höhnischenWorte, hinter denen der andere seine widerwillige Anerkennung verbarg. »Schon gut, Tschernigg«, sagte er und war froh. »Und jetzt schauen Sie sich einmal die Partitur an. Und vielleicht mach ich doch noch einmal Musik zu Ihren Versen.«
    Die erste öffentliche Aufführung des »Wartesaals« sollte in London stattfinden. Sepp fuhr zu den Proben hinüber. Er fragte sich, ob er der Aufführung beiwohnen solle oder nicht. Als er hörte, daß man erwarte, er werde im Frack erscheinen, war er zuerst versucht, sich nun gerade recht salopp angezogen einzufinden. Dann aber bedachte er, daß ihm Anna das übelgenommen hätte, und er fuhr zurück nach Paris, um sich die Aufführung, die durch den Rundfunk übertragen wurde, in der Einsamkeit seines Zimmers anzuhören.
    Madame Chaix, die ihn so gewissenhaft betreute, wie es ihr möglich war, wunderte sich, daß er die Aufführung nicht in London abgewartet hatte. Es waren schon merkwürdige Leute, ihre Deutschen, Hanns sowohl wie sein Vater. Gutmütig bereitete sie Sepp an diesem Abend eines jener Gerichte, wie sie sie manchmal bei großen Anlässen zusammen mit der toten Madame für ihn hatte kochen müssen. Sie kam damit nicht recht zu Rande. Aber das merkte Monsieur nicht. Er hätte es übrigens auch kaum gemerkt, wenn ihr das Gericht geraten wäre.
    Und dann also hockte er vor dem Apparat. Das Zimmer am Quai Voltaire war in der Tat freundlich und angenehm, und den alten, reparierten und schon wieder versessenen Lehnstuhl hatte er auch mitgebracht. Schlampig, bequem angezogen saß er da, die ausgetretenen Pantoffeln an den Füßen, die Uhr tickte, drunten strömte der Fluß, ach, es war die Seine, nicht die Isar, und aus dem Apparat kam »Der Wartesaal«.
    Wieder hörte er, daß, was er gemacht hatte, gut war. Er wußte, jetzt wird es wahrscheinlich auch Richard Strauss hören in Berlin, und sicher Hanns in Moskau, und viele Zehntausende überall auf
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