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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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und Geschehnisse als eben jene Kräfte, die, von ihnen selber nicht erkannt oder doch zumindest nicht bedacht, diese Menschen, uns also, leiteten.
    Ich war mir bewußt, daß ich bei einem solchen Vorhaben, ganz abgesehen von dem Zweifel, ob ich dafür genügend Gestaltungskraft besäße, mancherlei Gefahren lief. Es gehen in einer solchen Zeit des Übergangs das Urteil des Herzens und das Urteil des Hirns oftmals auseinander. Häufig sagt das Herz nein zu dem, was die Vernunft bejaht, häufig strebt das Gefühl dem zu, was der Verstand verneint. Der Gestalter darf sich da nicht die geringste Unehrlichkeit erlauben; rücksichtslose Offenheit wird von ihm verlangt. Gerade wenn sein Gefühl und sein Verstand einander widersprechen, muß er bemüht bleiben, keine der beiden Stimmen zu unterdrücken. Beide müssen sie kommen, sonst wird der Ton falsch, beide Teile müssen sich mischen, eins werden.
    Ich durfte zum Beispiel die Sympathie nicht erdrücken, die ich für einzelne meiner Menschen spüren mochte, auch wenn meine Vernunft erkannt hatte, daß alles, was diese Menschen dachten, taten, lebten, waren, der Gesamtheit Schaden bringen mußte. Ich durfte weiter die von mir gespürten Annehmlichkeiten einer Gesellschaftsordnung nicht unterschlagen, die mir als Ganzes verkehrt schien. Ich durfte ferner nicht vorbeigehen an den unsympathischen Eigenheiten solcherMenschen, die mir als Gesamterscheinungen nützlich und bejahenswert vorkamen. Es wäre das nicht nur vom moralischen Standpunkt aus falsch gewesen, sondern auch vom künstlerischen, es wäre töricht gewesen, es hätte das Werk gefährdet. Ich war mir bewußt, daß ich mir nicht den leisesten Schwindel erlauben, daß ich mich nicht drücken durfte vor den Widersprüchen, vor dem Dialektischen unserer Epoche. Wenn ich wünschte, daß sich das Lebensgefühl meiner Zeit auf die Zeitgenossen und auf die Späteren übertrage, dann durfte ich nicht versuchen, diese Zeit mit Gewalt auf einen Nenner zu bringen.
    Natürlich war ich mir auch von Anfang an klar darüber, daß, wer diese Epoche malen wollte, Gefahr lief, seine Darstellung könnte getrübt werden durch die politischen Leidenschaften und die Schlagworte des Jahres, des Monats, ja der Stunde. Der Autor eines Werkes, wie ich es vorhatte, mußte bemüht sein, die Einzelheiten des kleinen Tages, den er festhielt, scharf und genau zu sehen, dabei aber den großen Ablauf der ganzen Periode nie aus dem Aug zu verlieren. Ich weiß nicht, ob mein Herz und mein Aug Mut genug hatten für ein solches Unternehmen. Aber das weiß ich, daß ich jederzeit ernstlich darum bemüht war, gerecht zu sehen.
    Es werden mir denn auch manche, die mir beim Erscheinen der ersten beiden Romane vorwarfen, das oder jenes sei verzerrt und übertrieben, heute zugeben, daß ich eher zu maßvoll geblieben bin. Vor allem in England mußte ich mir damals von vielen sagen lassen, ich malte zu schwarz. Wer die beiden Bücher heute wieder liest, wird mir diesen Vorwurf sparen.
    Ja, der Ausbruch des Krieges rückt auf einmal meinen Roman-Zyklus in ein viel schärferes, härteres Licht. Menschen und Geschehnisse, die ich von Anfang an historisch zu sehen mich bestrebte, sind nun mit einemmal für alle historisch geworden. Sie sind in die notwendige Distanz entrückt, in sich abgeschlossen, übersehbar. Es läßt sich nun deutlich erkennen, ob der Roman-Zyklus »Der Wartesaal« Leben gibt oderbloße Konstruktion. Ich glaube, das Werk hat dieses neue Licht nicht zu scheuen.
    Freilich muß ich von dem Leser verlangen, daß er meine Menschen jetzt nicht anschaut, als wären sie Menschen des Jahres 1940. Es möge vielmehr ein jeder sich selber prüfen, ob er nicht in den Jahren des »Wartesaals«, 1919 bis 1939 also, Meinungen gehegt und geäußert und Handlungen begangen hat, die er nach Ausbruch des Krieges von 1939 nur mehr ungern wahrhaben möchte. Man möge dann aber auch mir und meinen Geschöpfen Gerechtigkeit widerfahren lassen und sie nicht als Menschen von 1940 betrachten, sondern mit der durch keine allzu nahen Interessen getrübten Teilnahme an abgelebten Zuständen.
    Noch ein Wort zur Technik der drei Romane. Vielleicht war ich zu überheblich, als ich mir bei der Konzeption von »Erfolg« vornahm, den Roman so zu halten, als schriebe ihn ein Autor des Jahres 2000. Andernteils habe ich mich wohl in den »Geschwistern Oppermann« in einigen Kapiteln zu sehr von den Eindrücken des Augenblicks hinreißen lassen, so daß diese Kapitel zu
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