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Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]

Titel: Exil - Wartesaal-Trilogie ; [3]
Autoren: Aufbau
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nicht, wie sie sich das gefallen lassen.
    Vorläufig leben wir. Vorläufig sagen wir’s jedem, der es hören und der es nicht hören will, wie lebendig wir sind, und schreiben es und brüsten uns und schreien es in den Äther hinaus. Und bald werden wir die mächtigste Armee der Welt habenund die meisten Flugzeuge. Und überhaupt sind wir großartige Kerle. Es ist eine schöne, märchenhafte, scheußliche Angelegenheit. Aber es ist ein Wunder, daß unsere fadenscheinige Großartigkeit so lange gehalten hat, schon länger als die der falschen Johanna, und am Abend frage ich mich, ob sie am Morgen noch da sein, und am Morgen, ob sie noch halten wird bis zum Abend.
    Schön war es, wie wir Seifenblasen gemacht haben, als Jungens. Wie sie immer größer wurden und farbiger und noch größer und noch farbiger. Am schönsten war es ganz zuletzt, wenn wir mit Herzklopfen darauf warteten, wann sie zerplatzten.
    Aber noch schöner war es auf der Schiffsschaukel. Wie es höher ging und immer höher. Es hat einen gekitzelt und ist einem wollüstig den Bauch heraufgekrochen. Vor fünf Jahren, wie wir nach Belgien gereist sind, auf jener Kermes in Gent, haben wir uns in eine Schiffsschaukel gesetzt, das war mit Lea. Das war das letztemal, daß ich in einer Schiffsschaukel saß, und es war schon nicht mehr das Rechte, es ist mir ein bißchen übel geworden, und ich hab mich sehr zusammennehmen müssen vor Lea. Aber wenn ich an das Schaukeln denke in meiner frühesten Zeit, dann klopft mir jetzt noch das Herz in der Erinnerung. Wie man darauf gewartet hat: jetzt geht es höher, und jetzt noch höher; wenn es aber noch höher geht, dann fliegt man hinaus und wird ins Leere geschleudert, in den Raum.
    Wie ist eigentlich die Geschichte ausgegangen mit der falschen Johanna? In der Privataudienz bei dem König ist der Schwindel geplatzt. Der König war großmütig, aber es war doch ein mageres, klägliches Ende. Ein bißchen Schandpfahl, dann die Scheidung, dann eine zweite Ehe mit einem kleinen Mann, dann eine kümmerliche Betrugsaffäre, verurteilt, verschollen.
    Da ist es schon besser, man fliegt hinaus, wenn man ganz oben ist.
25
Ein guter Hahn kräht schon um Mitternacht
    Hanns machte Ordnung unter seinen Sachen. Übermorgen wird er wegfahren. Mitnehmen wird er Kleider, Wäsche, Bücher, Zeichenutensilien. Seine sonstigen kleinen Besitztümer, Uhrkette, Globus, Medizinball und dergleichen, verteilte er unter seine Freunde. Als die ihn scherzhaft fragten, was denn nun für ihn selber bleibe, antwortete er wie Alexander vor dem Aufbruch nach Persien: »Die Hoffnung.«
    An diesem letzten Abend, den Hanns im Jugendverband verbrachte, sprach man ausschließlich von seiner Zukunft in der Sowjetunion. Die Mehrzahl seiner Kameraden beneidete ihn. Einige freilich, an ihrer Spitze der Buchdrucker Ignaz Hauseder, erklärten, sie würden unter keinen Umständen nach Rußland gehen.
    Es waren nicht nur sachliche Gründe, die Ignaz Hauseder antrieben, Hanns besonders heftig anzugreifen. Da war vor allem die Sache mit Germaine. Wenn nämlich zwischen Ignaz und Germaine die Rede auf Hanns kam, dann machte sie sich keineswegs, wie Hanns befürchtet hatte, über ihn lustig. Vielmehr verteidigte sie ihn, wenn ihn Ignaz schmähte. Ignaz wurmte es, sie in Hannsens Bereich zu wissen, und er redete ihr zu, die Stellung bei Trautweins aufzugeben. Sie erwiderte lachend, das sei ihr angenehmster Platz; wo keine Frau sei, habe man kein schweres Arbeiten. Ignaz meinte argwöhnisch, vielleicht gehe sie so gern hin nicht wegen der nicht vorhandenen Frau, sondern wegen des sehr vorhandenen Hanns Trautwein. Er ließ nicht ab, darauf zu dringen, sie solle von dort weg, und es kam darüber häufig zwischen ihnen zu Streitigkeiten.
    Noch anderes schürte seine Feindseligkeit. Es kränkte ihn, daß Hanns, dem er sich trotz allem durch ihre frühere zweideutige Kameradschaft verbunden fühlte, andere, aber nicht ihn mit einer Abschiedsgabe bedacht hatte. Es kränkte ihn,daß Hanns, obwohl der schlechtere Redner, im Jugendverband mehr Anhänger hatte. Es kränkte ihn, daß Hanns, nun er in die Sowjetunion fuhr, als Held und Entdecker dastand, während er, der Tatenfrohe, hier in Paris hockenbleiben mußte.
    Heute, da er das letztemal mit Hanns zusammen war, kratzte ihn das alles noch mehr als sonst. Ohne rechten Anlaß brach mit einemmal die aufgestaute Wut aus ihm heraus. Als man von der Regelung der Arbeitszeit in der Sowjetunion sprach und Hanns erklärte, daß,
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