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Ex en Provence

Ex en Provence

Titel: Ex en Provence
Autoren: Elke Ahlswede
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und zische Jule ein »Pssst« zu, denn der Bürgermeister schnappt sich von der Rathaus-Dekodame jetzt ein paar Aktenordner und wendet sich uns zu.
    »Bonjour, Madame …«
    Ich habe mich ja schon fast dran gewöhnt.
    »Darf ich mich vorstellen? Jean-Pierre Pommery. Aber alle nennen mich einfach Jean-Pierre«, sagt Jean-Pierre und schüttelt mir die Hand.
    Kein Kuss, uff.
    »Ich bin der Bürgermeister«, fügt er hinzu. »Ich heiße Sie bei uns herzlich willkommen. Sie sind doch neu hier, nicht wahr?«
    »Ja, ich heiße Anja Kirsch, und das ist meine Tochter Jule.«
    »Ah, sehr angenehm, Mademoiselle.« Der Bürgermeister streicht Jule über die Haare, was offenbar automatisch Jules Hirnblockade in Sachen Kaugummiverkäufer löst.
    »Jean-Yves!« Jule triumphiert. Es klingt wie »Mensch, Jean-Yves, altes Haus, wir haben uns aber lange nicht mehr gesehen«.
    Dem Bürgermeister verschlägt es für einen Moment die Sprache. Dann räuspert er sich und sagt mit sichtlichem Stolz auf Deutsch: »Nein, nein, mein Frollein, Jean-Pierre, nischt Jean-Yves!«
    Können denn hier alle Deutsch? Mein Job ist in akuter Gefahr.
    »Doch! Jean-Yves!«, brüllt Jule. »Der kleine dicke Kaugummiverkäufer in dem Laden bei uns gegenüber heißt Jean-Yves.«
    Der Tabak-Bar-Besitzer!
    »Das weiß ich genau. Der hat mir neulich ein paar Fußballsammelbilder geschenkt, als du dir ’ne Zeitung gekauft hast. Der sieht doch auch so komisch aus.«
    Absolut.
    Ich lächele verlegen. Ob Jean-Irgendwas Bürgermeister das jetzt wohl verstanden hat?
    Der Bürgermeister schaltet aber zurück ins Französische.
    »Ha, ha«, sagt er und tätschelt Jule noch einmal die Haare. »So weit reicht mein Deutsch aber nicht mehr, Mademoiselle.«
    Welch ein Glück.
    »Wissen Sie«, fährt er fort, »ich war in meiner Zeit bei der Armee in Deutschland stationiert. Da habe ich ein bisschen Deutsch gelernt: Gutten Tag , noch ein Bier, Prosst … Ho, ho. Jetzt muss ich aber an die Arbeit. Wenn Sie irgendetwas brauchen, melden Sie sich persönlich bei mir. Noch einmal herzlich willkommen in L’Oublie-en-Provence, dem Paradies …«
    »… auf Erden, ich weiß. Vielen Dank.«
    Der Bürgermeister legt mir lobend seine Hand auf die Schulter. Berührungsscheu sind sie ja nicht gerade, meine neuen Mitbürger. Dann steigt er die Treppe hinauf, die sicher in sein Amtszimmer führt, und dreht sich noch einmal kurz um. »Chantal«, ruft er im original Kasernenton der Empfangsdame zu, die gerade gelangweilt bis beleidigt ihre Fingernägel betrachtet. »Sorgen Sie dafür, dass es unserer neuen Mitbürgerin an nichts fehlt.«
    Das kann sie sicher gar nicht abwarten.
    »Aber natürlich, Monsieur le Maire!« Jetzt lächelt Chantal ihrem hyperaktiven Chef mit einem gekonnten Augenaufschlag zu und malträtiert dann mit ihren langen Fingernägeln die Computertastatur.
    »Name?«
    »Anja Kirsch.«
    Sie gibt meinen Namen ein. Wow, ist die schnell.
    »Woher kommen Sie?«
    »Aus Deutschland.«
    Dann reißt sie eine Schublade auf und knallt einen Ordner auf den Tresen. »Etrangers«, also Ausländer, steht – etwas feindselig, wie ich finde – auf dem Rücken des Ordners, aus dem sie nun mit spitzen Fingern mindestens zehn Zettel zupft und vor mir ausbreitet.
    »Voilà, der Antrag für eine Aufenthaltsgenehmigung, der Antrag für einen französischen Führerschein, der Antrag für ein französisches Autokennzeichen, der Antrag für die französische Wahlkarte/Kommunalwahlen, der Antrag für die französische Wahlkarte/Europawahlen, der Antrag auf Kindergeld, der Antrag auf …«
    »Entschuldigen Sie, aber ich brauche eigentlich nur eine Liste mit …«
    »Ich weiß, Säuglingen. Im Sinne von Neugeborenen. Aber die haben wir hier nicht im Angebot. Falls Sie eine Tagesmutter, also eine Kinderfrau suchen, voilà. Und im Übrigen empfehle ich Ihnen dringend einen Französischkurs! Voilà, einige Informationen von einer Sprachenschule im Stadtzentrum.« Die Dame schiebt mir einen Prospekt entgegen, der mir bekannt vorkommt.
    Sehr bekannt.
    Schuldirektorin Augustine Guillotin heißt Sie herzlich an der »École Polyglotte« willkommen. In professioneller Atmosphäre lernen Sie bei uns Französisch, Englisch, Deutsch …

    Hey, das ist meine Sprachenschule. Soll das ein Witz sein? Ich unterrichte dort!
    »Nun, also …«, stammele ich.
    Die Empfangsdame interessiert sich jetzt aber nicht mehr wirklich für mich. Sie setzt ein Lächeln auf, für das Flugbegleiterinnen bei ihrer 499. Erklärung
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