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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht
Autoren: Ilkka Remes
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imstande waren.
    Im zweiten Stock begrüßte Timos Vorgesetzte Sophia Halberthal ihn mit einem knappen Nicken. Vor der runden Frau mit mütterlicher Ausstrahlung lag inmitten des überfüllten Schreibtischs die Plastikhülle mit dem Tastaturkabel von Timos Computer, einschließlich des Key Stroke Recorders.
    »Du hast deinen Computer doch nicht etwa für etwas benutzt, aus dem man …«
    »Natürlich nicht.«
    »Unterbrich mich nicht!«
    Timo schaute der knapp 50-jährigen Frau direkt in die Augen. Vom Aussehen her hätte man sie für eine Spitzenklöpplerin halten können, tatsächlich hatte die Halberthal zehn Jahre lang als Abteilungsleiterin des spanischen Geheimdienstes CESID an der Zerschlagung der Baskischen Befreiungsarmee ETA mitgewirkt. Zu ihren Erfolgen bei TERA zählte das Aufspüren des als Finanzexperte von Bin Laden bekannten Ahmed Brahim im April 2002 in Barcelona.
    »Du weißt, was das im schlimmsten Fall bedeuten kann.« Halberthals Miene war so ernst wie ihre Stimme. Dass Telefone der EU-Kommission abgehört worden waren, hatte niemanden überrascht. Wenn nun aber bekannt würde, dass es gelungen war, den PC eines TERA-Mitarbeiters auf so primitive Weise anzuzapfen, würde das die Glaubwürdigkeit der gesamten Institution zumindest in Fachkreisen auf eine schwere Probe stellen.
    »Keine Panik«, sagte Timo. »Ich weiß, wer das Ding installiert hat.«
    Sophia Halberthal sah ihn überrascht an.
    2
    Der 14-jährige, schmächtige Junge hörte sich die telefonische Nachricht seines Vaters übers Internet an. Zwar hätte Aaro Nortamo auch direkt die Mailbox seines Telefons abhören können, aber er wollte die kostenlose Software testen, die er sich heruntergeladen hatte.
    »Ruf mich an, Aaro!«
    Die Stimme seines Vaters klang zornig. Die zweite Nachricht war noch unmissverständlicher: »Aaro, ruf mich sofort an!«
    Im Hintergrund waren Verkehrsgeräusche zu hören. Aaro tippte mit seinen dünnen Fingern etwas ein und schloss das Programm. Es lief auf einem Computer, der aus drei alten Desktops zusammengebastelt und in ein supermodernes, Star-Wars-artiges Kunststoffgehäuse eingebaut worden war.
    Die moderne Linie setzte sich in der Zimmereinrichtung fort: reduzierte Formen von Ikea, technische Apparate, an der Wand ein Poster mit einem Kohlenstoffatom, das Aaro von seiner Mutter bekommen hatte. Im Regal standen ein paar Romane, vor allem aber liebte er knallharte Fakten: ein FrontPage-Leitfaden, die vier letzten Jahrgänge vom ›Guinnessbuch der Rekorde‹, das ›Intelligence Yearb ook‹, ›CIA – der Staat im Staat‹, wissenschaftliche Zeitschriften, ›Das große Buch der Fledermäuse‹ sowie jede Menge Bücher über das Weltall. Auf den Buchreihen lagen ältere Werke, ein bisschen kindisch vielleicht, aber noch füllten sie das Regal: ›Handbuch für Spione‹, ›Der Detektiv von heute‹.
    Schon vor Jahren hatte Aaro beschlossen, als Erwachsener Privatdetektiv oder Beamter der CIA zu werden, und je mehr er sich mit zunehmendem Alter mit den einschlägigen Dingen beschäftigt hatte, umso sicherer war er sich seiner Berufung geworden. Sein Vater unterstützte ihn dabei nicht gerade, aber das schien ihn nicht zu stören.
    Im mittleren Regalfach befanden sich das Schachspiel, das seiner Mutter als Kind gehört hatte, eine chemische Experimentierreihe und ein Detektivset, das ihm seine Großmutter zwei Jahre zuvor – garantiert gegen den Widerstand seines Vaters – zum Geburtstag geschenkt hatte. Es enthielt echtes Fingerabdruckpulver, Schemata zur Gesichtsidentifikation und natürlich eine Lupe und ein Morsegerät, Dinge, die in alle Kindersets gepackt wurden, um die Kästen zu füllen. Im untersten Regalfach wurden die Brettspiele aufbewahrt, die er geschenkt bekommen hatte und von denen der Großteil nur einmal gespielt worden war, nämlich an dem Tag, an dem er das Geschenk bekommen hatte. Mit wem hätte er sie auch spielen sollen? Niko lachte nur über solche Antiquitäten. Der sah sich lieber Filme an und machte sich nicht einmal etwas aus Videospielen.
    Das moderne Mobiliar passte nicht so recht zur ursprünglichen Atmosphäre des Raums: In der Ecke stand ein Kachelofen, der Dielenboden war über hundert Jahre alt, und die Tapeten stammten aus den 70er Jahren, aus der Zeit, in der Aaros Vater so alt war wie Aaro jetzt und in diesem Zimmer hauste. Zwischen den gelben Blättern der Ahornbäume vor dem Sprossenfenster blitzte der Porvoonjoki auf, der durch die mittelalterliche Kleinstadt
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