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Ewige Nacht

Ewige Nacht

Titel: Ewige Nacht
Autoren: Ilkka Remes
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»Lager« hätte besser gepasst. Oder noch besser »Schrottlager«, denn nach Schrott sah das Zeug in Aaros Augen aus: eine Kiste mit der verschnörkelten Aufschrift »1832«, ein Röhrenradio, eine Nähmaschine mit Fußbetrieb, Kupferpfannen, ein Sofa aus gustavianischer Zeit, das darauf wartete, neu bezogen zu werden, eine Bauernkommode, eine Fronthelferinnen-Tracht, ein ausgestopfter Adler.
    Seine Oma trug einen ausgeleierten Strickpullover mit Rentiermuster und abgewetzte Jeans. Sie las die Lokalzeitung, die sie auf der Singer-Nähmaschine ausgebreitet hatte.
    »Hi. Ich müsste Papa mal ein Fax schicken.«
    »Was?«
    Aaro marschierte ins Hinterzimmer. »Bloß ein Blatt.«
    Aaro legte die Quittung ein und tippte die Nummer, die ihm sein Vater gegeben hatte. »Donnerwetter, hier ist es ja ganz schön schmutzig … Ich könnte vielleicht mal staubsaugen, wenn ich das hier weggeschickt habe«, sagte er.
    Die Großmutter trat zu ihm, und Aaro stellte sich als Sichtblende vor das Faxgerät.
    »Staubsaugen?« Die Stimme seiner Großmutter war vom Rauchen ganz tief und heiser. Wie Marlene Dietrich, sagte sie selbst, wenn sie deren Platten auf dem Grammofon im Laden spielte. »Was hast du denn ausgefressen, dass du so dein Gewissen beruhigen musst?«
     
    Fünfzig Kilometer entfernt, in der Satulakuja, einer kleinen Straße in Vantaas Stadtteil Hakunila, herrschte die übliche Donnerstagnachmittagsruhe. Auf dem geschützten Innenhof zwischen vier flachen Mietshäusern spielten drei Kinder am Grillhäuschen und im Sandkasten. Eine Mutter mit Kinderwagen kam hinzu.
    Niemand nahm Notiz von dem Mann, der ohne Eile die Zufahrt entlangschlenderte, die hinter einer Kiefernreihe zum Parkplatz führte.
    Nachdem die Frau kurz mit den Kindern geplaudert hatte, ging sie mit dem Kinderwagen weiter. Sie schlug denselben Weg zum Parkplatz ein. In dem Wagen schlief ihr sechs Monate altes Baby.
    Als die Mutter auf der Höhe eines alten Mitsubishi-Vans angelangt war, öffneten sich die Türen. Die Frau kam nicht einmal mehr dazu, um Hilfe zu rufen, als sie in das Auto gestoßen wurde. Ein Mann reichte das Baby hinein, warf die Tür zu und verstaute den Kinderwagen im Kofferraum.
    Dann setzte sich das Fahrzeug gemächlich in Bewegung. Auf der Höhe des Supermarkts fuhr es über die Kreuzung und bog dann zum Autobahnring ab.
     
    3
     
    Noora blickte besorgt auf die strumpfartige Kommandomütze und die Gasmaske.
    »Niemand kommt zu Schaden«, sagte Ralf leicht gereizt.
    Sie standen an einem Feuer in einem feuchten Nadelwald östlich von Loviisa, einen Kilometer von der Fernstraße Helsinki-Sankt Petersburg entfernt, in einem Gelände, das jeden Pilzsammler in Begeisterung versetzt hätte. Sakombi strich sich nachdenklich über die kurzen, grauen Locken. In dem finnischen Wald sah er aus, als hätte er sich in die falsche Gegend verirrt.
    Ralf legte die Gasmaske in eine Tasche, aus der er Unterlagen entnahm, die er in die Flammen warf. In dem faustgroßen Kurzwellenradio, das sie auf einem bemoosten Baumstumpf aufgestellt hatten, wurde Deutsch gesprochen.
    Noora stopfte sich eine halbrohe Banane in den Mund und starrte auf ein Foto, das sie einige Wochen zuvor selbst gemacht hatte und das jetzt im Feuer verbrannte. Es zeigte ein Fahrzeug mit VW-Chassis, das auf den ersten Blick wie ein gewöhnlicher Lieferwagen aussah. Erst bei näherer Betrachtung erkannte man mehr: die breiteren Reifen, den anderen Kühlergrill, die getönten Scheiben. Es war ein Panzerwagen. Ein Geld-und Werttransporter.
    In Finnland wurden Werttransporte traditionell unauffällig mit Lieferwagen durchgeführt, erst im Zusammenhang mit der Einführung des Euro hatte sich der Staat auch zum Kauf von schwererem Gerät entschlossen. Allerdings sahen selbst die massivsten Modelle nicht gepanzert aus, anders als diejenigen, die nach Großbritannien, Frankreich und Italien verkauft wurden. In diesen Ländern wollte man, dass das Aussehen der Werttransporter bereits auf ihre Fracht verwies.
    Noora warf die Bananenschale ins Feuer, wo feuchte Zweige knisterten. Plötzlich kam im Radio eine Meldung aus Bremen, die sie zusammenfahren ließ.
    »Laut Mitteilung der Polizei starb der mit Gas betäubte Wachmann im Krankenhaus an den Folgen des Überfalls …«
    Nooras Herz setzte einen Schlag aus. Sie blickte auf Ralf, der beruhigend den Arm um sie legte.
    »Niemand wird hier zu Schaden kommen«, versicherte er noch einmal, diesmal mit ruhigerer Stimme.
    Sakombi sah weg. Noora glaubte
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