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Ewig Böse

Ewig Böse

Titel: Ewig Böse
Autoren: Christopher Ransom
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Gesicht davongetragen, und die Vertiefung in ihrem Hals sah aus wie Kartoffelbrei, in dem ein Kind mit der Gabel herumgestochert hat. Ihre Haare waren fast bis zur Kopfhaut abgeschnitten. Sie hatte eine Menge Gewicht verloren, hohle Wangen, und ihre Brauen und Augenhöhlen wirkten in ihrem starken Kontrast zu der gelblichen Haut etwas affenartig. Mehrere Zähne waren ihr durch den Hinterkopf herausgeschossen, aber nicht ersetzt worden.
    Ich hielt mich nicht lange auf, dankte ihr nur, dass sie das Kind ausgetragen hatte, und wünschte ihr »irgendeine Form der Besserung und ein schöneres Dasein als das hier«.
    Sie starrte mich lange Zeit an, die einstmals leuchtend grünen Augen waren von trübem Grau, wie Aktenschränke von Behörden. Sie verstand kein Wort von dem, was ich sagte, und erkannte mich nicht, und das war ganz in Ordnung so. Ich war nicht ihretwegen gekommen. Obwohl sie aufrecht im Bett saß, atmete und sich gelegentlich am Bein kratzte, war das Ganze kaum mehr als eine Art Totenwache.
    Ich habe keine Alpträume mehr. Ich habe Staceys lebloses Auge oder Ricks brüllendes, blutbespritztes Gesicht nicht mehr in meinen Träumen gesehen, seit Eddie zwei Jahre alt geworden ist.
    Ghost tauchte mit einem Knall und unter großem Medienrummel wieder aus der Versenkung auf und verkündete ein dreifaches Comeback: Doppelalbum, seine Memoiren und den Start von GhostVision, seinem eigenen Musik- und Filmkanal. Er hatte sich ein zweieinhalb Jahre dauerndes »Sabbatjahr« in Buenos Aires genommen, wo er, laut Presseverlautbarung, dem Weißen Gold einen Arschtritt gegeben hatte und Veganer geworden war. Außerdem hatte er mehr als zweihundert Songs geschrieben (neben den Memoiren), seine Exfrau Drea-Jenna wieder geheiratet und mit ihr ein drittes Kind bekommen. Nur ein einziges Mal nahm er meine Leidenszeit zur Kenntnis, und zwar in seinen Abschiedsworten, als ich ihm für die anwaltschaftliche Unterstützung danken wollte.
    »Immer dranbleiben, J. Halt die Ohren steif, und hau mir eine rein, wenn du je in St. Louis bist.«
    Ich habe diese Aufzeichnungen damit begonnen, dass ich der Hoffnung Ausdruck gab, er sei tot. Um mein Gefühlsleben zu dem betreffenden Zeitpunkt adäquat zu beschreiben, habe ich mich dazu entschlossen, diesen Wunsch weder zu streichen noch zu widerrufen. Um die Wahrheit zu sagen, ich war erleichtert. Dass Ghost wieder an der Spitze der Charts lag, war für mich ein Beleg dafür, dass die Welt noch nicht völlig kopfstand, dass die Realität – die gute, alte Scheißrealität – wieder eingekehrt war. Es tröstete mich ein wenig, dass das Feuer, das wir einst geteilt hatten, egal wie flüchtig, noch nicht erloschen war.
    Ich werfe ihm nichts vor. Ohne Ghost, der die Führung übernahm, als ich am Boden lag, ohne seinen unbändigen Kampfgeist, hätte ich nicht überlebt. Ghost ist ein Spiegel, und manchen Leuten gefällt es nicht, was sie im Spiegel sehen. Doch denen, die das Spiegelbild mit der Realität verwechseln, ist nicht zu helfen. Sie wissen verdammt gut, wie man den Kanal wechselt oder das Radio abstellt. Sie wollen bloß nicht. Ohne Ghost würden sie verhungern.
    Aaron sehe ich immer noch. Er ist der verängstigte Junge unter jeder Kapuze, der sich nicht traut, Erwachsenen in die Augen zu sehen.
    Es dürfte offensichtlich sein, warum ich den Faden wieder aufgenommen habe. Ich musste mich auch an die schönen Ereignisse erinnern. Aber das ist nicht der einzige Grund. Celia und ich sind jetzt seit einigen Monaten zusammen, und letzte Nacht ist etwas Seltsames geschehen. Ich selbst erinnere mich nicht daran, aber sie ist nicht davon abzubringen, daher muss ich es erwähnen. Es ist wichtig, in solchen Dingen einen klaren Kopf zu behalten, und es könnte der Tag kommen, an dem ich diesen Bericht nicht weiter fortsetzen kann.
    Also, erst einmal …
    Wir frühstückten an diesem Morgen auf der hinteren Veranda. Celia hatte Eddie gerade mit Rührei und Toast gefüttert, und er wollte von seinem Stühlchen herunter, also ließen wir ihn im Garten spielen. Er vertiefte sich neben uns in ein imaginäres Spiel mit seinen Dinosauriern und einem Feuerwehrauto aus Plastik. Ich schlief noch halb und starrte in meine Kaffeetasse, aber Celias nächste Worte machten mich schlagartig wach.
    »James, wir müssen uns unterhalten.«
    Celia war ein Morgenmensch, aber heute wirkte ihr Gesicht abgespannt, und ihrem Haar fehlte der Glanz. Sie sah eher aus wie achtunddreißig als sechsundzwanzig, richtig
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