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Die Gang: Roman (German Edition)

Die Gang: Roman (German Edition)

Titel: Die Gang: Roman (German Edition)
Autoren: Richard Laymon
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    Er trat aus dem Schatten der geschlossenen Passage und schlurfte auf Tanya zu. Er sah aus, als wäre er geradewegs einer Gruft in einem Zombiefilm entstiegen – das Gesicht grau im Mondlicht, die Augen wie schwarze Höhlen. Sein Kopf war leicht zur Seite geneigt, sein Gang schleppend, die abgerissenen Kleider flatterten im Wind.
    Tanya blieb stehen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Obwohl vom Ozean her ein kalter Wind blies, war es ihr in ihrem Trainingsanzug bisher warm genug gewesen. Aber jetzt kribbelte ihre Haut, als hätte sie plötzlich ein Ei genleben entwickelt und würde schrumpfen. Ein festes Band schien sich um ihre Stirn zu legen. Sie konnte spüren, wie sich ihr die Haare im Nacken und auf den Armen sträubten.
    Der Mann näherte sich mit unsicherem Schritt.
    Tanya wusste, dass er kein Zombie war.
    Es gibt keine Zombies. Zombies können dir nichts tun.
    Sie existieren nicht.
    Das hier war ein Troll.
    Einer der verrückten obdachlosen Schmarotzer, die sich an jeden heranmachten – wirklich an jeden –, der sich in die Nähe der hölzernen Promenade oder an den Strand wagte. Es wurden immer mehr. Der dreckige, heruntergekommene Abschaum der Menschheit.
    Der Troll, immer noch ein paar Schritte von Tanya entfernt, streckte seine Hand aus.
    Sie trat rasch einen Schritt zurück, hatte plötzlich Angst, dass sich noch andere an sie heranschlichen, und sah sich um. Sie konnte niemanden entdecken.
    Aber sie wusste, dass sie beobachtet wurde. Trolle. Zwei, drei oder zehn von ihnen. Sie starrten aus den schwarzen Schatten neben den Spielbuden und Karussellen heraus, spähten um Ecken herum und schielten sie vielleicht auch lüstern von unten an, durch Risse in den Planken der Promenade. Sie beobachteten, hielten sich aber versteckt.
    »Haste ’n paar Mäuse übrig, Schatz?«
    Schnell drehte sie sich wieder zu dem Troll um. Jetzt konnte sie seine Augen sehen, feucht und triefend im Mondlicht. Er bleckte die Zähne zu einem verschlagenen, anbiedernden Grinsen. Ein paar Vorderzähne fehlten. Der Wind war nicht stark genug, um den säuerlichen Geruch wegzublasen, der von ihm ausging.
    »Okay«, sagte Tanya. »Klar.« Sie griff nach ihrer Schultertasche, drückte sie fest an den Körper, öffnete sie und nahm den Geldbeutel heraus.
    »Haste vielleicht ’n Dollar, Schatz?« Er wackelte mit dem Kopf und kratzte sein unrasiertes Kinn. »Hab drei Tage keinen Bissen gehabt.«
    »Ich seh mal, was ich habe«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte. Sie öffnete den Geldbeutel.
    »Was machste bloß hier draußen?«, fragte er. »Is’ gefährlich, weißte. ’n Haufen Spinner, verstehste?«
    »Das hab ich gemerkt«, meinte Tanya.
    »Bist ’n hübsches junges Ding. Die Spinner mögen hübsche junge Dinger.«
    Statt Münzen nahm Tanya eine weiße Karte aus ihrem Geldbeutel. Sie legte sie mit einer ruckartigen Bewegung schnell in die ausgestreckte Hand des Trolls.
    »Häh?« Er betrachtete die Karte stirnrunzelnd.
    »Kannst du das lesen?«
    »Was’n das für’n Mist?«
    »Eine Botschaft für dich.«
    Er zerriss die Karte und warf sie weg. Der Wind fegte die Stücke über die Planken. »Ich will ’n Dollar, drei, vier Dollar. Los.« Er bewegte auffordernd die ausgestreckte Hand. » LOS! «
    Tanya schob die Schultertasche nach hinten auf ihren Rücken. Sie spürte, wie schwer die Tasche war. »Du mieser Analphabet, auf der Karte steht: ›Lieber Troll, viele Grüße vom Großen Groben Griesgram Billy.‹«
    »Was’n das für’n SCHEISS ?«
    Tanya griff ihn an. Er stolperte jammernd nach hinten. Sie packte die Aufschläge seines dreckstarrenden Mantels, hakte ein Bein hinter seine Beine, zog sie nach vorn und warf ihn um. Er fiel rücklings auf die Promenade. Die Luft entwich pfeifend aus seiner Lunge, als sie ihm gegen den Brustkorb trat. Er rollte sich keuchend auf die Seite.
    Tanya griff in den Ausschnitt ihres Sweatshirts, zog die Trillerpfeife heraus, wandte sich von dem sich krümmenden Troll ab und pfiff kurz und schrill. Die Eintrittskarten-Bude war ein ganzes Stück weiter entfernt, als sie angenommen hatte.
    Wenn es Schwierigkeiten gegeben hätte …
    Aber es war nichts passiert.
    Sie kamen aus ihrem Versteck neben der Bude und liefen auf sie zu. Nate, Samson, Randy, Shiner, Cowboy, Karen, Heather und Liz.
    Das Team.
    Tanyas Trolljäger.
    Sie beobachtete, wie sie näher kamen, und war auf einmal stolz auf sie. Sie lächelte und hob grüßend die Faust. Auch die anderen hoben die Fäuste. Einer – das musste
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