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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse
Autoren: Jan Guillou
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sie starrten ins Leere und dachten an nichts oder fassten sich gegenseitig an die Schwänze oder lasen die Inschriften der hohen Friese, die in vergoldeten lateinischen Versalien verkündeten:
    DIE WAHRHEIT WIRD EUCH FREI MACHEN ES GILT AUF DER WANDERUNG DURCH DIE WELT EDLEN SAMEN AUSZUSÄEN BEWAHRE VOR ALLEM DEIN HERZ DENN VON DORT GEHT DAS LEBEN AUS 
    Ab und zu predigten auch der Rektor oder einer der rhetorisch besser beschlagenen Religionslehrer. Im Kampf gegen das Böse trug immer der Mut den Sieg davon (bisweilen aber auch etwas, das ein reines Herz genannt wurde, ein reines Herz tauchte in den Moralpredigten jedoch seltener auf als Mut). Besser zu sehen, dass die Sehne reißt, als überhaupt niemals einen Bogen zu spannen. Ausdauer macht sich bezahlt und Fleiß wird belohnt, wie der Fall Robinson Crusoe beweist. Vor Gott sind alle gleich, deshalb interessiert Gott sich auch für die Resultate in allen möglichen Wettbewerben. Die wichtigsten Wettbewerbe gab es im Sport, natürlich, und in den Lernfächern, im Einzelnen ging es um Stabhochsprung oder die Fähigkeit, die Satzteile des Satzes »Die Zeitungen nannten ihn einen Betrüger« benennen zu können (welcher Satzteil ist Betrügerl). Dann waren da noch Menschen mit womöglich tief verborgen liegenden Fähigkeiten oder einer inneren Berufung, Menschen, denen vielleicht bestimmt war, durch eine mutige Handlung ihre Heimat zu retten, wie der kleine niederländische Knabe, der einen Finger in das Loch im Deich steckte und damit sein ganzes Dorf vor dem Ertrinken rettete, obwohl er in den Augen seiner Mitmenschen nie viel hergemacht hatte.
    Folglich gab es dauernd irgendwelche Wettbewerbe. Da Erik am schnellsten lief, die meisten Prügel aushalten konnte, am härtesten zuschlug und außerdem in einigen Schulfächern der Beste war, gehörte er zur obersten Elite, die aus fünf Knaben bestand. In dieser Gruppe war der Wettbewerb hart, es reichte nicht, in Sport und Mathematik der Beste zu sein. Und da er nun mal aus der reichen Vorstadt kam, dieser verglichen mit Vasastan leicht ländlichen Idylle, hätten ihn seine Schwächen eigentlich für jede Führungsposition disqualifizieren müssen. Seine Schwächen waren, dass er nicht die für Kinder verbotenen Filme gesehen hatte, er konnte beim Rauchen keine Lungenzüge machen, hatte noch nie gefickt, verfügte nicht über einen akzeptablen Vorrat an Beschimpfungen und wusste nichts über die Eisdielen, in denen die Musikbox Elvis und Little Richard spielte, er hatte nicht einmal die angesagten Sonntagskonzerte der schwedischen Rockbands besucht, ging trutschig gekleidet, trug die ihm vom Vater aufgezwungene Schulmütze und redete kackvornehm.
    Diese Handicaps hätten ihn eigentlich aus dem Wettbewerb ausschließen müssen. Doch er besaß Qualitäten, die sogar die grässliche Schülermütze neutralisierten. Er schlug schon beim ersten Schlag mit voller Kraft zu und konnte erstaunlich viel Prügel einstecken. Beides war von gleicher sozialer Bedeutung.
    Prügel einstecken zu können hatte sich schon an einem der ersten Tage als wertvoll erwiesen, als der Zeichenlehrer seine übliche Einführungsrede gehalten hatte. Der Zeichenlehrer war ein Professor, der auch außerhalb der Schule Unterricht erteilte, und in seinen Augen sollten die Knaben gefälligst die Klappe halten und den ihnen jeweils vorgesetzten Gegenstand abzeichnen, während er die Zeitung las oder sich Professorenarbeit widmete. Sein System beruhte auf Julius.
    »Das hier ist Julius«, sagte der Professor und schlug ein paarmal mit dem Zeigestock durch die Luft, um mit dem heulenden Luftzug seine Botschaft zu unterstreichen.
    »Julius ist mein bester Freund hier in der Schule. Wer Krach schlägt, hat die Wahl zwischen Julius und einem Eintrag. Verstanden? Der Delinquent wird vortreten, sich vorbeugen und dann …«
    Er ließ den Zeigestock durch die Luft heulen.
    »Verstanden? Oder wird eine genauere Vorführung benötigt? Gibt es womöglich einen Freiwilligen?«
    Der Professor ließ seinen Blick durch die Klasse wandern und machte ein böses Gesicht.
    Erik betrachtete sachkundig den Zeigestock und hielt ihn für ein verhältnismäßig belangloses Folterwerkzeug. Vor allem, wenn es nur um einige wenige Schläge ging. Die Idee kam ganz von selbst.
    »Ja, Herr Studienrat!«, rief er und ging in Habtacht-Stellung.
    »Freiwillig?«
    Der Professor glotzte den arrogant lächelnden kleinen Knaben misstrauisch an.
    »Ja, Herr Studienrat, gern! Das sieht ja nicht
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