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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse
Autoren: Jan Guillou
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wie ein Gast vor. Meistens sprach er - oder war es möglich, dass er Konversation machte? -, um die Stille zu vermeiden; er redete über die Zukunft, über Pierre, über den gewaltigen Berg Matterhorn, der geradewegs in den Himmel ragte und den er irgendwann besteigen würde, erzählte, wie er Pierre angekündigt hatte, dass er Jura studieren wolle, um Rechtsanwalt zu werden, und dass er entweder auf Norra Real oder Östra Real gehen werde, denn in Stockholm würden zwanzig Punkte gefordert, er habe immerhin (im Arrest, dachte er) siebenundzwanzig Punkte zusammengebracht und also die Wahl.
    »Das mit der Betragensnote war trotzdem übel. Ich hab im ganzen Leben noch nicht gehört, dass jemand mangelhaft bekommen hätte«, sagte sein Vater. »Musstest du nun ausgerechnet eine Serviererin ficken?«
    Der Vater kaute unbeschwert weiter und versuchte dreinzublicken, als habe er nur ganz nebenbei eine Bemerkung über das Frühlingswetter gemacht. Erik schnappte einen warnenden Blick seiner Mutter auf.
    »Das geht dich nichts an und auf mein Privatleben kannst du scheißen«, sagte er, nachdem er einige Sekunden überlegt hatte, und streckte lässig die Hand nach dem Salzstreuer aus.
    Der Vater schlug den Nasenschlag.
    DER VATER SCHLUG DEN NASENSCHLAG UND TRAF PERFEKT.
    »Wie gesagt«, wiederholte Erik, »darauf kannst du ganz vollständig scheißen. Ich werde sie übrigens ziemlich bald besuchen.«
    »Das wirst du garantiert nicht.«
    »Doch. Ganz bestimmt.«
    »Darüber wird nach dem Essen gesprochen.« Jetzt erst hörte er, dass es »darüber sprechen« hieß. Er hatte immer »darüber gebrochen« verstanden und das hatte er oft genug auch gemacht. - Die restliche Mahlzeit verlief düster und schweigsam. Er betrachtete die Staubkörner, die in dem schmalen Abendsonnenstrahl tanzten, der durch das Fenster fiel. Er blies in die Staubkörner, die wie ein eigener Mikrokosmos umherwirbelten, und er senkte spielerisch leicht den Kopf, als sein Vater zu einem neuen Nasenschlag ausholte.
    Der Alte muss komplett den Verstand verloren haben, dachte er. Oder war der Vater Silverhielm, wäre er einer wie Silverhielm, wenn er jünger wäre und Präfekt an dem Ort, den es nicht mehr gab? Vermutlich. Und Silverhielm würde selbstverständlich werden wie der Vater; sie starben nie aus. Konnte man ihnen denn nie entrinnen? Es spielte keine Rolle, ob man das Orionabzeichen verbrannte oder so tat, als existiere Stjärnsberg nicht mehr, als habe man sogar den Namen Stjärnsberg vergessen. Er dachte einen Moment lang an das Orionabzeichen, das er verbrannt und dessen Asche er danach zerkrümelt hatte, bis es im Aschenbecher des Zugabteils für immer verschwand.
    Das Essen war beendet, und die Mutter räumte ab und bat den kleinen Bruder um Hilfe, alles wie immer. Und genau wie immer blieben er und sein Vater für einen Moment schweigend am Tisch sitzen.
    »Ja, ja«, sagte der Vater und erhob sich. »Gehen wir also und bringen es hinter uns.«
    Der Vater ging zur Schlafzimmertür, ohne sich auch nur zu vergewissern, dass Erik ihm folgte; er ging zur Schlafzimmertür, in der selbstverständlichen Gewissheit seines ganzen bisherigen Lebens, und er schien zu glauben, dass Erik ihm folgen werde, als sei er Romulus oder Remus.
    Erik folgte seinem Vater ins Schlafzimmer und zog die Tür hinter sich zu. Hinter dem offenen Fenster war ein Laubsänger zu hören, weiter weg auf der anderen Seite des Hofes eine Schwarzdrossel. In der Luft lag eine fast sommerliche Wärme.
    Der Vater stand in seiner üblichen Haltung neben dem Bett. In der Hand hielt er den albernen kleinen Schuhlöffel mit dem gewickelten Lederhandgriff.
    Wie schade, dachte Erik, wie schade, dass er nicht die Hundepeitsche genommen hat, die geflochtene Hundepeitsche aus geschmeidigem dunkelbraunem Leder mit der kleinen Metallklammer, die die Haut aufreißt, wie schade, dass er heute nicht die Hundepeitsche ausgesucht hat.
    »So«, sagte der Vater. »Hose runter und vorbeugen.«
    Erik ging wortlos zur Tür und zog den Schlüssel heraus, der auf der anderen Seite im Schloss steckte. Dann drehte er ihn auf der Innenseite zweimal um und steckte ihn in seine linke Hosentasche. Er betrachtete den Mann, der noch immer größer war als er selbst und an Reichweite noch immer überlegen. Aber weder die Reichweite noch der kleine Schuhlöffel würden dem Mann in wenigen Minuten auch nur die geringste Hilfe sein. Der Mann hatte noch keine Angst, er wirkte nur überrascht. Also musste dem Mann
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