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Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse
Autoren: Jan Guillou
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schwarzen Autos.
    Vor der Abschlussfeier in der Aula, bei der Preise verteilt werden sollten, ging Erik zum Holzstapel auf dem Waldweg. Und ja, da lag noch immer seine Mütze mit den drei Löchern, ebenso verschimmelt wie die Handschuhe.
    Er rechnete nicht mit einem Preis. Aber als dann der Preis für das beste Zeugnis der Mittelschule verliehen wurde, ein Prachtwerk von Carl Fries in Tiefdruck und mit dem Schulsiegel auf dem Vorsatzblatt, erklärte der Rektor, im Hinblick auf eine gewisse schlechte Betragensnote, auf die er hier im Moment nicht näher einzugehen gedenke, habe es gewisse Vorbehalte gegeben, aber ein hervorragendes Zeugnis sei eben ein hervorragendes Zeugnis.
    Und unter höflichem Applaus, den es für ihn genauso gab wie für alle anderen, ging Erik nach vorn, verbeugte sich und nahm das Buch entgegen, das eigentlich für Pierre bestimmt gewesen wäre.
    Vom Podium her betrachtete er die mit Birkenzweigen geschmückte Aula, die vielen Schüler in Blazern, die wieder in diese Hölle zurückkehren mussten, ihre pompösen Eltern, die nicht wussten oder nicht wissen wollten oder es ganz einfach großartig fanden, wie es in Stjärnsberg zuging.
    Es wäre eine unverzeihliche Feigheit, es nicht zu tun. Und er würde es bis an sein Lebensende bereuen.
    Mit dem Gesicht zum Publikum und dem Rücken zum Rektor zog er langsam die Mütze mit den drei Löchern aus der Tasche, schob die Hand hinein und spreizte die Finger, sodass alle sie genau sehen konnten.
    Der Applaus setzte vorsichtig bei einigen seiner Klassenkameraden ein. Er blieb stehen, er machte sich ganz stark, um mit der über seinen Kopf gereckten Mütze stehen zu bleiben. Und der Applaus breitete sich in der ganzen Mittelschule aus, bis der Saal so tobte wie damals, das fiel ihm plötzlich ein, als der berühmte Geiger sein Solo beendet hatte.
    Er verbeugte sich zum Dank und um das Ende der Vorstellung anzuzeigen, lief die Treppe hinunter und dann gleich weiter zu einem der wartenden Taxis. Als der Wagen anfuhr, beschloss er, sich nicht umzusehen, sich kein einziges Mal mehr umzudrehen. Stjärnsberg gab es nicht mehr.
    Er setzte sich in ein leeres Zugabteil. Im Bahnhof hatte er sich zwei John-Silver-Zigaretten gekauft, vor den Augen zweier Ratis, die sich blind und taub stellten. Nervös hatten sie sich immer wieder umgesehen, während sie in den zweitletzten Wagen schlichen, obwohl auch sie vermutlich Fahrscheine für die erste Klasse besaßen.
    Er lächelte, ohne Schadenfreude zu empfinden, er wollte ohne Schadenfreude lächeln können, wenn er daran dachte, wie die beiden jetzt im zweitletzten Wagen saßen und mehr als eine Stunde lang fürchten mussten, ihre Abteiltür könne plötzlich aufgerissen werden und rasch und geräuschvoll hinter Erik zufallen.
    Sie wären dann Gefangene ohne Fluchtmöglichkeit. Wie Ratten, dachte er und gab sich noch einmal Mühe, nicht schadenfroh zu lächeln. Die beiden konnten nicht wissen, dass jetzt alles vorbei war. Es war vorbei und würde nie wieder passieren. Das alles gehörte in eine andere Welt und Stjärnsberg gab es nicht mehr.
    Er streckte die Hände aus und spreizte die Finger. Seine Hände waren ganz ruhig, sie zitterten nicht. Vor zwei Jahren hatte er viele kleine weiße Spuren an den Fingerknöcheln gehabt, die die Zähne anderer hinterlassen hatten. Jetzt waren die meisten dieser Narben verschwunden, nur wenn man ganz genau hinschaute, konnte man noch Spuren erkennen. Seine Hände waren makellos. Er betastete seinen rechten Ellbogen, wo eine kräftige Narbe saß, die von Lelles Vorderzähnen stammte - er hatte doch Lelle geheißen? -, aber so eine Narbe konnte alle möglichen Ursachen haben. So eine Narbe konnte man auch bekommen, wenn man zum Beispiel auf einem Kiesweg mit dem Fahrrad umkippte. Und jetzt war alles vorbei. Nie wieder.
    Er hatte das Abzeichen mit dem Orion von der Brusttasche seines Blazers abgetrennt. Er nahm es in die Hand und hielt ein brennendes Streichholz darunter. Es brannte langsam und mit starker Rauchentwicklung. Die letzten Aschereste zerkrümelte er mit Daumen und Zeigefinger über dem Aschenbecher. Dann steckte er eine seiner beiden Zigaretten an.
    Irgendwo dort draußen im Wald lag seine und Pierres Plastiktüte mit einer halben Packung John Silver, zwei geknickten Zweigen, mit denen sie die Zigaretten gehalten hatten, einer Schachtel Streichhölzer und einer halben Flasche Vademecum.
    Vielleicht würde irgendwer in hundert Jahren diesen Schatz finden. Und wenn irgendwer
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