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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft
Autoren: Johanna Marthens
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Benzin und Schokolade
     
    Ich wusste, dass es Probleme geben würde, als der Fremde sein Auto an unsere Tankstelle schob. Dabei sah er gar nicht bedrohlich oder fremdartig aus. Er hatte kurze braune Haare, trug dunkelblaue Jeans und ein noch dunkleres Hemd, dessen Farbe ich im Gegenlicht nicht richtig erkennen konnte, aber ich denke, es war schwarz oder mitternachtsblau. Der Ankömmling war groß und schlank, Anfang Dreißig und wirkte athletisch und muskulös, so dass ich im Geist sofort verschiedene Badehosenmodelle durchging, die ihm gut stehen könnten. Am Ende setzte sich eine eng anliegende schwarz-rot gestreifte deutlich gegen eine lässiger geschnittene türkisfarbene, die noch Raum für Fantasie ließ, durch. Bei manchen Dingen war Fantasie unnötig, da musste man einfach wissen, woran man war.
    Der Fremde schob seinen Wagen, das ältere Modell eines Opels, direkt vor eine freie Tanksäule. Wie immer war nicht viel los in der Tankstelle an der Ausfahrt 24 an der A 19. Vereinzelt hielten Touristen auf ihrem Weg an die Ostsee kurz bei uns an, wenn sie verpasst hatten, in einer der größeren Tankstellen mit einem angeschlossenen McDonalds oder Burger King Rast zu machen. Oder wenn jemand eine schwache Blase oder einen undichten Tank hatte. Lediglich in den Ferien verschlug es mehr Reisende an die Tankstelle, die Leif Germann gehörte, meinem Chef, einem großen, blonden Mann Mitte Dreißig mit dunkelblauen Augen und langen Beinen.
    In der Ferienzeit hallte vom frühen Morgen an Kindergeschrei durch den Verkaufsraum und das Bistro. Die Klos waren ständig verstopft, weil irgendjemand Windeln, Süßigkeitspapier oder eine verirrte Babysocke herunterspülen wollte. Leif freute sich trotzdem jedes Mal auf die Ferien, auf das gute Geschäft, wie er sagte. Ohne zu murren bestellte er schon im Voraus einen Klempner und bezahlte ihn reichlich dafür, im Notfall sofort Hand an die Verstopfungen zu legen. Er packte die Regale mit den Süßigkeiten besonders voll und legte auch noch ein paar extra Frauenzeitschriften dazu, für die er den Rest des Jahres nur ein verächtliches Grunzen übrig hatte. Ich liebte diese Zeitschriften – Gala, Bunte, Vogue, Madame, Mademoiselle, Lisa, Lena oder wie sie alle hießen. Deshalb wusste ich auch immer genau, wo die Reisenden eingekauft hatten, welchen Lippenstift sie (oder er) benutzte, ob das Rouge teuer oder billig und die Kleider von Versace oder KiK stammten. In den meisten Fällen lagen sie irgendwo dazwischen, aber ich hatte auch schon Frauen gesehen, die aus einem Porsche gestiegen waren und Schuhe vom Jimmy Choo und Prada-Sonnenbrillen zu ihrem Gucci-Kleid trugen. Meist ergriffen diese Exemplare so schnell wie möglich die Flucht, sobald sie gesehen hatten, wo sie gelandet waren, lediglich heiße Reifenspuren hinterlassend. »Stadtschnepfen«, grummelte Leif dann verächtlich, während ich neidisch ihren Auspuffgasen hinterher schnupperte, als wäre es Chanel No.5.
    Wenn man lange genug an der Tankstelle arbeitet, entwickelt man einen sechsten Sinn dafür, woher die Leute kommen und wohin sie wollen. Doch den Fremden an jenem Tag mitten im Mai konnte ich nicht einordnen. Er wollte nicht zur Erholung an die See, er hatte keine prall gefüllten Koffer dabei. Er sah auch nicht nach Geschäftsmann aus, denn in dem klapprigen Auto würde ihn keiner ernst nehmen. Er war einfach da und schwitzte. Und schon da hatte ich das merkwürdige Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Es war nichts Eindeutiges, keine Eingebung oder so. Ich ahnte nur, dass etwas anders werden würde. Vielleicht aber auch, dass er anders war.
    Ich richtete mich auf und steckte die restlichen Blumensträuße, die ich draußen sortiert hatte, für den Fall, jemand wollte seine Gastgeber oder seinen Geschäftspartner mit ein paar Blumen erfreuen, in einen leeren Eimer. Dann ging ich zu ihm.
»Benzin alle?«, fragte ich.
Er nickte. Der Schweiß rann seine Stirn herunter, tropfte von den Augenbrauen und lief in seine Augen, so dass er blinzeln musste. Er hatte warme braune Augen, die bei Kerzenschein sicherlich sehr sanft funkeln konnten. Jetzt sahen sie mich verzweifelt an.
»Kann ich mich irgendwo frisch machen?«
Ich nickte und zeigte ihm den Weg zum Klo, wo es auch Waschbecken gab (die in den Ferien ebenfalls ständig verstopft waren, weil die meisten Gäste es einfach nicht verstanden, dass Papierhandtücher in den Mülleimer und nicht in den Ausguss gehörten. Ich hatte schon Stoffhandtücher hingehängt, aber
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