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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Autoren: David Vogel
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Michael Rost warf einen Blick aus dem Fenster auf das nächtliche Flussufer, das von den feinen Schnüren eines Herbstregens überzogen war. Er machte »hm« und verließ das Zimmer. Es ging auf zehn Uhr zu. Ein rotbrauner Himmel lastete auf den Dächern, das Pflaster schimmerte feucht und modrig. Hochgewachsen, leicht vorgebeugt schlenderte er langsam durch die schon weniger belebten Straßen, vorbei an grell erleuchteten Schaufenstern, vorbei an Prostituierten unter Regenschirmen. Kurze Zeit später betrat er das Café. Er nickte ein paar Bekannten zu und setzte sich an einen gerade frei gewordenen kleinen Tisch im ersten Saal, gegenüber dem Eingang. Emmi Wittler, schlank, schwarz gekleidet, das rote Haar kurz geschnitten, streckte ihm ihre schmale, gepflegte Hand entgegen und lächelte freundlich. Dann setzte sie sich ohne Weiteres zu ihm und zündete sich eine Zigarette an.
    »Ich war gerade im Kino. Bin mittendrin gegangen. Ein langweiliger Film.«
    »Allein?«
    »Kommt auch mal vor. Egon hat es neuerdings übrigens auf die hübsche kleine Polin abgesehen. Die kennen Sie doch. Ein wirklich liebenswürdiges Mädchen.«
    Mit spitzem Mund trank sie ihren dampfenden Kaffee in kleinen Schlucken. Danach zog sie ein goldenes Puderdöschen aus ihrer schwarzen Handtasche und puderte sich das Gesicht nach. Von der glimmenden Zigarette auf dem Aschenbecher, die am unteren Ende Spuren ihres roten Lippenstifts aufwies, kräuselte ein feiner, bläulicher Rauchfaden auf, der stark und würzig duftete.
    »Und wer nimmt unterdessen seine Stelle ein?«, fragte Rost lächelnd.
    »Unsittlich! Trotzdem werde ich Ihnen verraten, dass ich derzeit eine kurze Pause einlege, um philosophische Betrachtungen über die großen Lebensfragen anzustellen.« Sie ließ ein neckisches, kleines Lachen vernehmen.
    »Haben Sie denn schon das passende Alter erreicht? Damit fängt man normalerweise erst mit fünfzig Jahren oder darüber an. Sie haben also, soviel ich weiß, noch an die fünfundzwanzig Jahre Zeit.«
    »Frauen, die nicht hübsch sind, fangen in jedem Alter an …«
    »Sie möchten mir ein kleines Kompliment abluchsen? Haben Sie das denn nötig?«
    »Das hat jede Frau nötig. Selbst die schönste. Ohne das wird sie hässlicher.«
    »Und wer die meisten vergibt – der hat gewonnen?«
    »Kann sein …«
    »Ja dann … dann denken die diversen Krüppel also nur fälschlich, es sei so schwierig.«
    Emmi kam gleich ein Armamputierter mit entsetzlich entstellten Zügen in den Sinn, der sich auf ihr wälzte. Vor Abscheu bildete sich ein Kloß in ihrem Hals. »Hören Sie bitte auf damit. Sie wecken Albträume bei mir.«
    Männer und Frauen jeden Alters und aller Nationen und Sprachen drängten sich an den Tischen, die so eng standen, dass kaum noch ein Durchkommen war. Sie tranken, redeten, lachten lauthals, rauchten, verschrieben sich mit Leib und Seele der teils echten, teils künstlichen Vergnügungslust, die diese Stadt beseelte. Rost behielt den Eingang im Blick, musterte die Gesichter der sitzenden oder ein- und ausgehenden Gäste, die den Kellnern den Weg versperrten, so dass diese die Getränketabletts gewandt über ihren Köpfenbalancieren mussten. Sein violett angelaufenes Gesicht nahm einen harten, fast brutalen Ausdruck an. Wieder verfiel er in jene bohrende Langeweile, die dem Menschen tief im Herzen sitzt, wie ein Krebsbefall der Seele, vererbt von Generationen, die kein Vergnügen der Welt ausgelassen hatten, wobei Einzelne vor lauter Überdruss aus dem Leben geschieden waren. Er trank einen Schluck von seinem schwarzen Kaffee, der erkaltet war.
    »Da kommt Gregor!« Emmi deutete auf einen Mann mit Kippa. Er trug einen verblichenen Sommeranzug, dessen überweite Hose ihm kaum bis an die Knöchel reichte, und steuerte schnurstracks ihren Tisch an.
    Emmi stellte ihn vor. Der Mann zog sich einen freien Stuhl von einem dritten Tisch heran und nahm Platz. Sofort wandte er sich an Rost mit der Frage: »Und wo ist Ihr Atelier? Sie sind doch sicher Maler?« Dabei entblößte er ein paar gelbbraune Zahnstummel.
    »Ich bin kein Maler.«
    »Ach, wie schlau!« Sein Mund verzog sich zu einem lautlosen Lachen.
    Während er sich mit der einen Hand die kurze Pfeife in den Mund steckte, nahm er mit der anderen die Kippa vom Kopf und warf sie in seinen Schoß. Unter der glänzenden runden Glatze fielen seine Bartstoppeln noch mehr auf. »Und welchen Philosophen lesen Sie gerade?«
    »Auch das trifft es nicht. Sie irren sich gewaltig.«
    »Dann
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