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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Autoren: David Vogel
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Daumen und Zeigefinger und schob sie in die Jackentasche. »Was möchten Sie dann trinken, Herr Rost? Jetzt bin ich ja wieder reich, kann einen ausgeben. Und Sie, Madame? Vielleicht einen Bénédictine?«
    Er drängte so sehr, dass sie nachbestellten. »Besuchen Sie mich einmal«, sagte Gregor, während er sich die Pfeife neu stopfte.
    »Vielleicht bei Gelegenheit.«
    »Aber ich sitze nicht immer zu Hause.«
    »Und Sie möchten, dass ich Sie besuche?«
    »Eigentlich nicht nötig. Habe es nur aus Höflichkeit gesagt. Manchmal bin ich sogar etwas höflich, wie Sie sehen, hihi. Aber ich werde Sie mal mitschleppen, wenn es sich ergibt. Damit Sie meine Bilder sehen. Sie dürfen nicht vergessen, dass Sie den größten deutschen Maler vor sich haben! Das weiß man in London, aber nicht in Berlin. Was verstehen die Deutschen von Malerei? So ist das, mein Herr!« Dann sprang er auf und eilte einem untersetzten Mann mit Schmerbauch, hochrotem Gesicht und vorquellenden Augenmit Silberblick entgegen, der gerade aus dem Nachbarsaal kam.
    »Ein origineller Typ«, sagte Emmi, »kein Dummkopf. Ich höre ihn gern reden und von einem Thema zum anderen springen. Zuweilen sagt er ziemlich seltsame Dinge.«
    Rost gab ihr Feuer. »Eigentlich wird es doch Zeit für eine kleine Liebelei zwischen uns beiden, Emmi … Ohne jede Verpflichtung.«
    Sie lachte – ob zustimmend oder ablehnend, war schwer zu erraten.
    »Kommen Sie morgen zu mir, Emmi. Gegen drei Uhr.«
    »Vielleicht komme ich.«
    »Ich werde auf Sie warten«, sagte Rost überbetont. Dann winkte er dem Kellner und zahlte.
    Rost ging nicht nach Hause, sondern in die Gegenrichtung. Lucie konnte beliebig auf ihn warten! Heute war er ihrer überdrüssig. Der Regen hatte unterdessen aufgehört. Ein scharfer, kalter Wind fegte durch die Straßen. Es roch nach Herbst, nach Prostituierten, nach Bürgerschlaf, nach dem Kohlenqualm einer nahen Eisenbahn. Leuchtreklamen blinkten allenthalben, hellblau, lila, rosa, rot, erloschen und flammten von neuem auf. Kam man an klaffenden Metro-Schlünden vorbei, erfasste einen kurz der widerlich stickige, seit Jahrzehnten konservierte Menschendunst, der ihnen unaufhörlich entstieg. Gelegentlich mischte sich das dumpfe Rattern eines Zuges hinein. Aus den Türen eines Kinos quollen Menschenströme. Hier und da trug eine Frau ein schlummerndes Baby auf dem Arm. Tatsächlich hat der Mensch gelegentlich das dringende Bedürfnis, sich mit Greta Garbo, Adolphe Menjou und anderen den freudlosen, eintönigen Alltag ein wenig zu vertreiben, doch kaum hat man das Kino verlassen, springt einen unbarmherzig, schmählich dieser Tag wieder an, und schon sitzt einem dieMüdigkeit in den Knochen, und der Mund wird bitter und trocken.
    Ohne Hast durchmaß Rost die Rue du Bac, die sich schmal und grau zur Seine hinabschlängelte. Er hatte sich schon ganz der nächtlichen Stille hingegeben, die nur selten von einem einsamen Omnibus gestört wurde. Der Lärm der Stadt war fast verebbt. Rost verlangte dringend nach einer Tat, deren Anfang und Ende in der Nacht verborgen lägen und die der Mensch später in innerster Seele bewahrt als ewiges Geheimnis, in dem die Keime des künftigen Daseins ruhen wie der Kern in einer Frucht. Nur konnte er selbst nicht definieren, welcher Art diese Tat sein sollte. Die Lichtstreifen der Laternen flossen von beiden Ufern, schwappten sanft im dunklen Wasser, waagrecht, wie Talgflecken.
    Ein Mann näherte sich hallenden Schritts, hielt bei Rost, der sich über das Brückengeländer lehnte und hinabschaute.
    »Das Wasser ist kalt, mein Freund. Es ist keine Badesaison.«
    »Das ist auch keinem eingefallen.«
    »Stimmt keineswegs. Als ich vor einer knappen Stunde hier war, hat sich ein junges Mädchen hinabgestürzt. Verstehen Sie, genau da, wo Sie jetzt stehen. Ich bin hingerannt, um sie davon abzuhalten, aber es war zu spät.«
    »Und warum wollten Sie sie davon abhalten?«
    »Aus reiner Menschlichkeit, mein Freund. Schade um den Menschen. Mir ist klar, dass er es im nächsten Augenblick bereut, sogar noch im Sturz.«
    »Und doch sind Sie ihr nicht nachgesprungen. Haben lieber Ihre Haut gerettet.«
    »Sehen Sie, das ist wiederum eine Frage des Temperaments. Ich bin von Natur aus kein impulsiver Mensch, ich opfere mich nicht auf. Solange die Gesundheit nicht in Gefahr gerät – gern geschehen. Das ist mein Leitsatz!«
    »Sehr bequem jedenfalls.«
    Rost löste sich vom Fleck, und der Fremde ging neben ihm her, klein, mager, ohne Mantel, einen
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