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Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)
Autoren: David Vogel
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Schnauzer im schmalen Gesicht, den Jackenkragen hochgeschlagen, die Hände in den Hosentaschen.
    »Eigentlich müssten Sie mir ein Gläschen spendieren. Wegen des Gefallens, den ich Ihnen erwiesen habe.«
    »Sie haben mir einen Gefallen erwiesen?«
    »Gewiss«, erwiderte der Fremde ernsthaft, »ich habe Sie doch vor dem Ertrinken bewahrt.«
    Rost lachte laut auf. »Sie sind nicht bei Trost, mein Herr. Ich wollte mich gar nicht ertränken.«
    »Sagen Sie das nicht. Das kann man nie wissen. Da kenne ich mich etwas besser aus. Wenn der Mensch so dasteht und aufs Wasser schaut, überkommt ihn doch plötzlich … so ist das! Mir ist das schon einmal passiert, nur mit großer Mühe gelang es mir, den Ärmsten am Schopf zu packen und ihn rechtzeitig wegzuzerren. Kaum hatte er sich hin und her gedreht, wurde er schon von hinten gepackt! Jedenfalls habe ich einen Cognac verdient.«
    »Möglich, dass Sie einen verdient haben. Vielleicht hat jeder einen verdient. Es fragt sich nur, ob ich Lust habe zu zahlen.« Kurz darauf fragte er: »Nebenbei bemerkt, ist das Ihre einzige Chance, an Cognac zu gelangen?«
    »Im Moment – ja.« Er steckte sich eine Zigarettenkippe unter den Schnauzer und zündete sie mit einem Feuerzeug an. »Sie werden mir doch darin zustimmen, dass man einen Menschen nicht verpflichten kann, stets selbst für sein Gläschen aufzukommen.«
    Sie gingen eine Weile am Ufer entlang und bogen dann in die Straße zum Museum, in das Gewirr verwinkelter, alter Gassen um die Markthallen. Hier herrschte schon viel Verkehr. Lastwagen mit Lebensmitteln aller Art rattertenschwerfällig zu den Lagerräumen des Markts. Allseits war man damit beschäftigt, die Tagesverpflegung für fünf Millionen Menschen sicherzustellen.
    »Und morgen Abend«, erklärte der Fremde, »wird nichts mehr da sein von den Tausenden Tonnen Magenfutter.«
    »Sie bekommen Ihren Cognac.«
    »Hab ich mir gedacht.«
    »So?!«
    »Die Knauserigkeit ist schon aus der Mode gekommen.«
    »Beschäftigen Sie sich allein mit der Rettung von Menschenleben?«
    »Sie machen Witze. Das ist nur meine Gelegenheitsbeschäftigung.«
    »Und Ihre feste Tätigkeit?«
    »Die feste … ich … meine Schwester …«
    »Ah, Ihre Schwester!«
    »Das heißt … ich war Schauspieler. Das ist nicht gelogen.«
    »Ausgerechnet Schauspieler!«
    »Schauspieler an einer kleinen Vorstadtbühne.«
    »Und jetzt –«
    »Habe ich angefangen zu stottern …«
    »Aber ich höre Sie gar nicht stottern, kein bisschen.«
    »So nicht. Nur auf der Bühne komme ich ins Stottern. Ich war der Rächer, wissen Sie, musste den Dolch ziehen und den Verräter erstechen mit den Worten: ›Stirb, du treuloser Schurke!‹, was ungeheures Pathos erfordert. Und da schoss mir im letzten Augenblick der Gedanke durch den Kopf: Wenn du jetzt stottern würdest, wäre das urkomisch. Und schon geriet ich ins Stottern. Kam partout von dem D und dem Sch nicht weg. Und fortan fing ich, kaum dass ich die Bühne betreten hatte, zu stottern an. Die Worte schienen mir an den Lippen festzukleben.«
    »Und Ihre Schwester …«
    »Sie ist eine Waise.«
    Rost gab ihm eine Zigarette.
    »Ich habe Ihr das Schneidern beigebracht. Sie arbeitet in einem Bekleidungsgeschäft.«
    »Hm …«
    »Der Direktor … er gefällt mir, der Direktor dort … Und Sie sind Ausländer. Deutscher, wenn ich mich nicht irre.«
    »Sagen wir mal Österreicher.«
    »Ein und dasselbe, was mich betrifft. Ich bin Kosmopolit, wissen Sie, das ist weniger anstrengend, nicht wahr? Gehen wir hier rein«, er deutete auf eine kleine Kneipe, »hier bin ich bekannt.«
    In der langen, schmalen Gaststube, in der ein paar laute, etwas zweifelhaft aussehende Gäste saßen, bestellte Rost zwei Cognac. Sein Begleiter leerte sein Glas in einem Zug und wischte sich danach mit dem Handrücken über den Schnauzer. Rost betrachtete die goldene Flüssigkeit in dem bauchigen Glas, dessen Stiel so lang und schlank wie ein Strohhalm war, und in seinem gewundenen Gedankengang kam ihm Emmi in den Sinn. Ja, sie würde kommen! Sicher!
    »Noch einen?«
    »Wenn’s Ihnen nichts ausmacht! Wissen Sie, ich war in deutscher Gefangenschaft. Habe in einer Gastwirtschaft in einem kleinen Dorf gearbeitet. Die Wirtin dort hieß Martha. Eine sehr kräftige Frau. So groß wie Sie und Arme wie zwei Eisenstangen. Sie schrieb lange Briefe an ihren Mann im Gefecht und schlief mit mir. Was verlangen Sie – es waren Kriegszeiten! Ihre Tochter war neunzehn, und mit ihr habe ich auch geschlafen.
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