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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft
Autoren: Johanna Marthens
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folgen. Ich lief hinter ihm her durch den Wald, bis ich zur alten Mühle kam. Und dort lag sie. Ein kleines Mädchen, bleich und weiß, die Hände ausgestreckt, als hätte sie versucht zu fliegen. Ihr Haar war vom Morgentau ganz feucht, ihr Kleid an den Ärmeln umgeschlagen. Sie sah aus, als würde sie schlafen. Doch sie schlief nicht. Ihre Lippen waren blau und kalt. Durch ihre Adern floss kein Blut, ihr Herz schlug nicht mehr. Sie war tot.
    Schreiend wachte ich auf.
     

Der Traum vom Glück
     
    Am Morgen wurde ich vom Duft von Kaffee geweckt. Er roch so verführerisch, dass ich für einige Zeit Mühe hatte, mich daran zu erinnern, dass ich nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus war. Als ich die Augen öffnete, blickte mir jedoch nicht das ernste Gesicht des Arztes entgegen, sondern das sorgenvolle meiner Mutter.
»Moona, du hast mir so einen Schreck eingejagt. Was hast du dir nur dabei gedacht.« Sie schluchzte und hielt meine Hand. »Ich habe gedacht, du bist tot. So wie mir Willi den Unfall beschrieben hat, bist du voll gegen ein Auto gerannt, hast dich in der Luft überschlagen und bist auf die Fahrbahn geknallt. Oh Gott, dir hätte sonst was passieren können.« Zwei ihrer Tränen tropften auf meinen Arm. Sie küsste meine Hand, dann beugte sie sich zu meinem Gesicht, um mir auch noch die Wange zu küssen. Sie roch nach Alkohol.
»Leider ist dir nicht sonst was passiert«, ertönte auf einmal die Stimme meiner Schwester Isabelle, deren schmales Gesicht hinter meiner Mutter auftauchte. »Ich hätte gern dein Zimmer gehabt. Aber so muss ich wohl in meiner kleinen Klitsche bleiben.«
»Sprich nicht so mit deiner großen Schwester«, sagte meine Mutter und klopfte Isabelle auf den Arm. Viel zu sanft, wenn ihr mich fragt. Isabelle hätte Schläge verdient. Nicht, dass ich Gewalt im Elternhaus befürworte, das ganz bestimmt nicht, aber wenn meine Mutter in all den Jahren für meine Schwester dagewesen wäre und die Erziehung nicht mir überlassen hätte, wäre Isabelle bestimmt etwas besser geraten. Jetzt war sie die schrecklichste und aufmüpfigste Fünfzehnjährige, die man sich nur vorstellen kann. Sie stand kurz davor, mit der achten Klasse die Schule abzubrechen, wenn ich nicht aufpasste. Meine Mutter wusste davon nichts.
»Ich rede mit ihr, wie ich will«, maulte Isabelle. »Wieso kriegt sie eigentlich keinen Ärger, weil sie auf die Autobahn gerannt ist? Wer ist schon so blöd und läuft auf die Autobahn?!« Sie grunzte verächtlich.
»Ich bin Kaspar hinterhergelaufen. Er rannte plötzlich los und da wollte ich ihn zurückhalten. Aber ich war zu spät.« Bei dem Gedanken an seinen leblosen braunen Körper auf der Fahrbahn traten mir Tränen in die Augen.
Meine Mutter tätschelte meine Hand. »Wir holen dir einen neuen Hund, wenn du das willst.«
»Darum geht es nicht. Es war Kaspar, mein Kaspar.« Für meine Mutter war jeder Hund nur ein bellendes Fellbündel mit Flöhen. Ich glaube, sie kannte noch nicht einmal seinen Namen. Vielleicht hätte ich ihn Wodka oder Bourbon nennen sollen, dann hätte sie sich den Namen gemerkt.
Ich wischte meine Tränen weg, denn in diesem Moment öffnete sich die Zimmertür und ein Arzt trat herein. Ich kannte ihn nicht oder konnte mich wegen der Drogen nicht an ihn erinnern. Er war jung und etwas zu dünn für meinen Geschmack.
»Guten Morgen, wie ich sehe, geht es der Patientin schon wieder gut.« Er lächelte breit, so dass sich seine Brille höher schob. »Ich bin Dr. Eisenstein. Im Prinzip können Sie heute schon wieder nach Hause, vorher müssten Sie mir nur einige Fragen beantworten.« Er sah zu meiner Mutter. »Sie sind die Mutter?«
Die nickte und reichte ihm die Hand. »Sylvia Sebastian, verwitwet«, betonte sie. »Mein Mann lebt nicht mehr.«
    Meine Schwester verdrehte die Augen und stöhnte leise, als sie bemerkte, wie meine Mutter die Hand des Arztes einen Hauch zu lange festhielt und ihn mit ihren glasigen Augen anblinzelte.
»Das tut mir leid«, antwortete Dr. Eisenstein und ließ sich überhaupt nicht anmerken, ob er von dem Verhalten meiner Mutter unangenehm berührt war. Aber vielleicht gehörte er auch zu der Sorte Männer, die es nicht bemerkten, dass man sie anflirtete, wenn man es ihnen nicht direkt ins Gesicht sagte. »Aber schön, dass sie hier sind. Wann hat sich Moona das Bein gebrochen?«
Meine Mutter schüttelte irritiert den Kopf. »Sie hat sich nie das Bein gebrochen, außer vielleicht gestern.« Sie deutete auf die Schiene an meinem Bein. Doch der
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