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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft
Autoren: Johanna Marthens
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Er kreiselte um mich herum und schleckte mir über das Gesicht, so dass der Fremde laut auflachte.
»Wenn ich gewusst hätte, dass es solch eine Wiedersehensfreude gibt, wäre ich schon früher gekommen. Er hat sein Frauchen vermisst.«
»Ja, das hat er bestimmt«, sagte ich und knuddelte das braune Fell meines Tieres. Dann richtete ich mich auf. »Ich habe gedacht, er sei tot. Er lag so reglos auf der Fahrbahn , da dachte ich  …«
Er lächelte verständnisvoll, wobei seine Augen warm leuchteten. In diesem Moment fand ich seinen Blick hinreißend, umwerfend sympathisch. »Ich denke, das haben viele gedacht. Aber Tiere können zäher sein, als man glaubt«, erwiderte er.
Ich hätte ihn am liebsten umarmt, doch in diesem Moment trat meine Mutter samt meiner Schwester zu uns, deshalb hielt ich mich zurück.
»Da ist ja dein Hund!«, rief meine Mutter erstaunt aus. »Ich denke, er ist tot.«
»Das war ein Irrtum. Wie du siehst, ist er quicklebendig.«
»Leider«, meinte meine Schwester, wie vorauszusehen war.
»Dann muss ich keinen neuen kaufen, zum Glück«, sagte meine Mutter, was ich ebenfalls ohne Probleme hätte vorhersagen können.
»So ein toller Hund ist nicht so schnell ersetzbar«, erwiderte der Fremde den beiden, was ihn mir noch sympathischer machte. Er reichte meiner Mutter die Hand. »Mein Name ist Robert Bauer, ich bin auf der Durchreise und Moona hat mir gestern mit meinem Wagen geholfen.«
Meine Mutter hielt auch seine Hand zu lange fest. »Vielen Dank für Ihre Hilfe. Es geht meinem Mädchen Gott sei Dank wieder gut. Nach den Beschreibungen des Unfalls müssen Sie bei der Ersten Hilfe wahre Wunder vollbracht haben.«
»Ich habe nur getan, was nötig war.« Er zog seine Hand vorsichtig aus der meiner Mutter und lächelte sanft. »In den wenigen Stunden, in denen ich hier bin, habe ich schon so viele Einladungen bekommen, zu bleiben und die Stelle des Arztes in Mullendorf anzunehmen, dass mir klar ist, dass in der Gegend ein akuter Ärztemangel herrscht. Aber ich muss weiter.«
»Das ist sehr schade«, sagte meine Mutter. »Das Krankenhaus ist dreiundvierzig Kilometer von Mullendorf entfernt, der nächste Arzt in Moosberg fünfundzwanzig. Dabei ist Mullendorf so ein schönes Fleckchen Erde, um Wurzeln zu schlagen.«
Dieses Mal verdrehte ich die Augen. »Mullendorf ist ein Albtraum. Hier passiert nichts, niemand verirrt sich hierher. Wenn man hier lebt, ist es, als wäre man lebendig begraben.«
Der Mann wurde nachdenklich. »Ist das so?«
Isabelle nickte. »Sie haben bestimmt so viele Einladungen bekommen, weil Sie der erste Fremde seit Jahrzehnten sind, der länger bleibt als das Tanken dauert.«
Er verzog den Mund. »Naja, vielleicht ist es doch nicht so schlecht hier.«
Meine Mutter legte die Hand auf seinen Arm. »Überlegen Sie es sich. Wir würden Sie auf Händen tragen.« Sie blinzelte ihm zu.
»Nur beruflich«, ging ich schnell dazwischen.
Er nickte. »Ich überlege es mir.«
Er reichte mir die Leine meines Hundes, dann lächelte er mir zu. »Viel Glück, Moona«, sagte er.
»Danke.«
    Ich nahm Kaspar und ging mit meiner Mutter und Schwester zu dem kleinen Volkswagen, der auf dem Krankenhausparkplatz stand. Als ich mich noch einmal zu Robert umdrehte, stieg er gerade in seinen alten Opel. Es muss das Licht des bedeckten Himmels gewesen sein oder die Schmerztabletten, die noch in meinen Adern kreisten, denn in diesem Augenblick sah er aus wie ein Geist, ich schwöre es. Es war, als wäre er leer, seelenlos, ein Skelett mit einer menschlichen Hülle. Und er war von Dunkelheit umgeben, die aus seinen Poren strahlte.
Ich spürte ein Frösteln durch meinen Körper ziehen. Doch dann war er in seinem klapprigen Auto verschwunden, ließ den Motor an und fuhr mit einem sanften Ruckeln des alten Gefährts davon.
»Ich fahre«, hörte ich meine Schwester keifen.
»Du bist zu jung«, antwortete meine Mutter.
»Du bist zu betrunken«, erwiderte Isabelle.
Ich nahm Kaspar in die Arme. Er war unnatürlich kalt, aber ich achtete nicht darauf. »Ich bin so froh, dass wir heil und gesund sind«, flüsterte ich in sein Fell. Er leckte glücklich über meine Wange. Ich sah in seine Augen, die mich seltsam leer und dunkel anblickten. Aber auch darauf achtete ich nicht.
    Den Rest des Tages verbrachte ich zu Hause in der Küche, wo meine Mutter versuchte, leckere Dinge für mich zu kochen, die jedoch jedes Mal im Müll landeten, weil sie ungenießbar waren. Am Ende bestellte Isabelle Pizza aus Moosberg, um unsere
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