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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft
Autoren: Johanna Marthens
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Arzt winkte ab. »Die Schiene ist überflüssig. Wir dachten, sie hätte einen Bruch, aber dann stellte sich heraus, dass er schon verheilt war. Also, wann war das?«
»Ich bin bisher immer glimpflich davongekommen«, mischte ich mich ein. »Kein Bruch, keine Masern, keine Blinddarmentzündung. Das ist, ehrlich gesagt, auch das erste Mal, dass ich im Krankenhaus liege.« Ich versuchte ein entschuldigendes Lächeln.
Dr. Eisenstein runzelte die Stirn. »Das ist seltsam. Auf den Röntgenbildern ist eindeutig ein verheilter Bruch zu sehen, auch am Arm und an der Hüfte. Ihr Handgelenk muss irgendwann mal zersplittert gewesen sein und auch vier Rippen waren gebrochen. Also, wann war das?«
Ich lachte auf. »Sie müssen die Röntgenbilder vertauscht haben. Bei mir ist alles in Ordnung.«
Die Runzeln auf seiner Stirn wurden tiefer. »Nein, das sind Ihre. Muss ich das Jugendamt informieren?« Er sah mit kritischem Blick zu meiner Mutter. Die erhob sich und baute sich vor ihm auf.
»Hören Sie, Doktor, meine Tochter war noch nie in ihrem Leben in einem Krankenhaus. Wenn sie das sagt, stimmt das. Falls sie vielleicht darauf hinauswollen, dass ich sie geschlagen habe oder so, dann liegen Sie sehr, sehr falsch. Mein Mann war unberechenbar, aber der ist weg, nachdem Isabelle auf die Welt kam, also vor fünfzehn Jahren. Aber auch er hat meine Mädchen nie angerührt. Nicht ein einziges Mal.«
Dr. Eisenstein trat einen Schritt zurück. »Aber dennoch sind auf den Bildern Brüche zu sehen. Und das ist kein Irrtum.«
»Dann ist das Gerät kaputt«, schlug ich vor. »Wenn ich mir die Rippen oder das Handgelenk gebrochen hätte, hätte ich mir das gemerkt. Ich habe wirklich nichts.«
Der Arzt kratzte sich nachdenklich am Kopf. »Ich werde die Sache überprüfen. Sie können inzwischen nach Hause gehen.« Er versuchte, sein Stirnrunzeln in ein freundliches Lächeln umzuwandeln, aber es gelang ihm nicht sonderlich gut.
    Ich schlug die Bettdecke zurück, sobald er aus dem Zimmer war und stand auf.
»Da soll man Vertrauen in das Gesundheitswesen haben, wenn sie einem mit so einem Quatsch daherkommen«, grummelte meine Mutter. »Wollen einem sonst was unterjubeln, als ob man ein Verbrecher wäre.«
»Idiot«, meinte auch meine Schwester, obwohl ich mir nicht so sicher war, ob sie auch wirklich den Arzt meinte.
Mir war etwas schwindelig, als ich auf meinen zwei Beinen stand und tief Luft holte. Ich machte einen schnellen inneren Check, ob auch wirklich alles in Ordnung war. Beine stabil, Unterleib ohne Beschwerden, Brustkorb optimal, Arme arbeitsbereit, Rücken belastbar, Kopf etwas benebelt, aber sonst auch völlig okay. Es tat wirklich nichts weh, auch das Bein nicht, nachdem ich die Schiene mit zwei einfachen Handgriffen entfernt hatte. Ich war kerngesund.
»Können wir jetzt gehen?«, nervte Isabelle. »Ich habe noch Termine heute.«
»Was denn für Termine?«, fragte ich nach, da ich wusste, dass die nicht in der Schule stattfinden würden.
»Das geht dich nichts an«, antwortete sie und steckte den Zahnputzbecher ein, der in der Ecke über dem Waschbecken stand.
»Stell den wieder hin«, sagte ich. »Der nächste, der das Zimmer benutzt, braucht ihn vielleicht.«
»Dann kriegt er einen neuen«, antwortete sie bockig. »Wir zahlen genug Krankenversicherung, da wird wohl ein Zahnputzbecher mit drin sein.«
»Du zahlst gar nichts. Du bist Schülerin. Also stell den Becher wieder hin.«
»Isabelle, mach was deine Schwester sagt«, kam mir meine Mutter zu Hilfe. »Du brauchst keinen Zahnputzbecher, du hast eine elektrische Zahnbürste.«
Nach diesem Argument stellte meine Schwester den Zahnputzbecher zurück, nur um in demselben Moment dafür die Packung Taschentücher einzustecken, die daneben lag.
»Auch Taschentücher brauchst du nicht«, sagte ich geduldig. »Du hast keine Gefühle und damit auch keine Tränen.«
Sie sah mich mit einem hasserfüllten Blick an, dann legte sie auch die Taschentücher zurück. Ich weiß nicht, was sie danach genommen hat, denn ich war abgelenkt. Als ich beim Anziehen zufällig zum Fenster hinaussah, erblickte ich den Fremden vom gestrigen Tag. An seiner Seite sprang mein Hund.
»Kaspar!«, rief ich und rannte aus dem Zimmer, sobald meine Hose hochgezogen und geschlossen war.
    Ich begegnete den beiden vor dem Eingang des Krankenhauses. Kaspar durfte nicht hinein, daher warteten sie draußen. Mein Hund sprang mich glücklich an, als wären wir beide gerade dem Tode entronnen, was wir vielleicht auch waren.
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