Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Evil - Das Böse

Evil - Das Böse

Titel: Evil - Das Böse
Autoren: Jan Guillou
Vom Netzwerk:
gefährlich aus.«
    Die Klasse schnappte nach dieser Herausforderung nach Luft. Der Professor hatte keine Wahl. Er ließ Erik vor die schwarze Tafel treten und gab Anweisungen. Der Knabe musste sich vorbeugen, die Hände auf den unteren Rand der Tafel stützen und den Hintern herausstecken. Dann … ließ er den Zeigestock durch die Luft heulen, hielt aber unmittelbar vor dem Auftreffen inne.
    Erik bewegte sich nicht, sondern verharrte in der befohlenen Haltung. Worauf der Professor mit der Kraft der Verzweiflung zuschlug.
    Erik, der schon den Atem angehalten hatte und sich auf das Bild des Gesichts seines Vaters konzentrierte, zuckte nicht einmal zusammen.
    »Na, wie fühlt Julius sich an?«, schrie der Professor.
    »Haben Sie schon geschlagen, Herr Studienrat?«, fragte Erik und holte noch einmal Atem, um sich auf die leicht vorhersagbare Folge des Gekichers der anderen zu konzentrieren.
    Der Professor verlor denn auch die Beherrschung und schlug fünf- oder sechsmal mit voller Kraft zu, ehe er zur Besinnung kam. Dann hob er die Hand und hielt Julius wie ein Schwert. Die Haare hingen ihm ins Gesicht und er war puterrot, vor Anstrengung, aber auch weil Erik ihn psychologisch überrumpelt hatte.
    Erik stützte weiterhin die Hände auf die untere Kante der Tafel und versuchte noch immer so zu tun, als habe er nichts gespürt.
    »Jetzt setz dich! Unverschämter Lümmel!«, schrie der Professor. »Übrigens …«
    Er verstummte mitten im Satz, während Erik durch die Bankreihen ging und ihn auslachte.
    Der Professor konnte nichts über Eriks Vater wissen. Die Klassenkameraden hatte auch keine Ahnung, für sie kam es auf die Moral der morgendlichen Predigten oder der Geschichtsstunden an: »In Sparta lebte ein Kriegervolk, das durch seine Fähigkeit, physische Qualen zu ertragen, lange Zeit in der griechischen Politik eine beherrschende Stellung einnahm.«
    Das hatten sie nun wirklich und wahrhaftig gesehen, aber begriffen hatten sie nichts, weil sie nichts über Eriks Vater wussten.
    Am Abend desselben Tages, nach dem billigen Sieg über den belanglosen Zeigestock des Professors, war der Vater in seiner gefährlichen Stimmung. Es galt, auf Zehenspitzen zu gehen, damit die Nachtischprügel nicht ausarteten. Erik deckte den Tisch, er räumte ab und beobachtete sorgfältig jede Bewegung am Esstisch. Den Gesichtszuckungen des Vaters war anzusehen, dass es einer von den Tagen war, an denen er sich beim Schlagen in den Wahnsinn hineinsteigern konnte. Das nächste Zeichen war, dass der Vater ohne Grund den Nasenschlag anbrachte (genauer gesagt, nachdem er sich irgendeinen Grund aus den Fingern gesogen hatte).
    Erik sah das Zucken unter dem Auge, sah den Schlag kommen und riss sich zusammen, um sich nicht zu wehren, sondern den Vater die Nase und nicht den Wangenknochen treffen zu lassen.
    Der Vater wirkte ein wenig zufriedener, als er mit einem von schräg unten hochgezogenen Schlag mitten unter den Nasenlöchern traf. Dabei kam ein ganz besonderes Geräusch zu Stande. Vermutlich war es ein schöneres Gefühl, dort zu treffen als am Wangenknochen.
    Der Vater wurde ein wenig lockerer und beschloss nach dem Hauptgericht, dass zwanzig Schläge mit der Bürste angesagt seien. Da er so tief angefangen hatte, hatte er sicher vor, die Anzahl innerhalb der nächsten zehn Minuten zu verdoppeln. Sonst hätte er gleich von fünfundzwanzig oder dreißig Schlägen gesprochen. Fünfundzwanzig oder dreißig wären zu viel, um sie ohne besonderen Grund zu verdoppeln. Er fing vorsichtig an, wenn er die Anzahl hochtreiben wollte.
    Zum Nachtisch servierte die Mutter Schokoladenpudding. Er war aus einem neuen Pulver aus Amerika gemacht. Man verrührte es einfach in Milch und ließ es steif werden, dann hatte man einen Schokoladenpudding, der fast schmeckte wie Schokoladenpudding.
    Erik erkannte die Gefahr.
    Sein kleiner Bruder war sechs Jahre alt und wurde nie verprügelt.
    Als sie anfingen, den Schokoladenpudding zu essen, versuchte der kleine Bruder natürlich, blitzschnell einen Löffel von Eriks Teller zu mopsen. Erik handelte instinktiv und erkannte seinen Irrtum zu spät. Als er die Hand seines Bruders festhielt, rutschte ein wenig Schokoladenpudding vom Löffel und auf die weiße Tischdecke.
    Der Vater verdoppelte auf vierzig.
    Vierzig Schläge mit der Kleiderbürste lagen knapp über der Grenze des Erträglichen. Er würde am Ende weinen müssen. Vielleicht war es so ein Tag, an dem sein Weinen den Vater so erregte, dass er zu zählen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher