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Das Amulett der Pilgerin - Roman

Titel: Das Amulett der Pilgerin - Roman
Autoren: Laura Bastian
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    S ie war sehr durstig. Das war das Erste, was sie bemerkte. Sie war so durstig, dass es kaum auszuhalten war. Wasser schwappte über ihr Gesicht, und sie hustete. Es war Salzwasser und brannte in ihrer Kehle. Der Untergrund war weich und nass und bitterkalt. Wasser bedeckte rhythmisch ihre Beine bis zu ihrem Rücken und zog sich dann wieder zurück. Jedes Mal legte sich der Stoff ihres Kleides eiskalt und schwer auf ihre Haut, um sich dann bei der nächsten Welle wieder zu lösen. Wo war sie? Sie wollte sich aufrichten, aber sie war zu schwach. Wenn sie hier liegen blieb, würde sie sterben. Das war ihr letzter Gedanke, ehe sie wieder in eine schwarze Ohnmacht zurückglitt.
    »Lebt sie noch?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Doch, sie atmet noch! Komm, wir müssen sie ins Trockene bringen.«
    Die beiden Fischer hoben die leblose Frau hoch und trugen sie, so schnell es ging, zu dem Karren, mit dem sie ihren täglichen Fang ins nahe gelegene Dorf brachten. Sie legten die zierliche Person vorsichtig auf die Fische, darauf bedacht, den Ertrag ihrer heutigen Ausfahrt nicht zu beschädigen und auch der Schiffbrüchigen gerecht zu werden. Das helle Kleid, das an ihrem Körper klebte, und die langen schwarzen Haare, die über den Rand des Karrens fielen, ließen sie inmitten der Fische aussehen wie eine Meerjungfrau.
    »Sie ist nicht schwer, ich schaff das allein. Lauf du vor und sag Bescheid, dass wir jemanden gefunden haben.«
    Der jüngere der beiden Fischer rannte die Dünen hinauf, während der ältere sich langsam mit dem Karren durch den feinen Sand arbeitete.
    »Na, mein Mädchen, von welchem Schiff bist du denn gefallen?«, sagte er eher zu sich selbst als zu der bewusstlosen Gestalt vor sich. Bewundernd betrachtete er sie. Unter dem nassen Stoff zeichnete sich jede Kurve ihres schönen Körpers ab. So etwas Wunderbares hatte er noch nie aus dem Meer gezogen! Wer sie wohl sein mochte? Er hatte nichts von einem Schiffsuntergang gehört. Manchmal wurden Schiffe mit falschen Leuchtfeuern absichtlich in die Nähe der Felsen gelockt. Die Ladung wurde dann angetrieben und von Halunken geborgen. Sie machten auch nicht vor Überlebenden und Leichen halt, alles wurde geplündert. Er selbst hatte einmal eine Kiste mit Gewürzen gefunden. Leider war der Inhalt durch das Salzwasser ungenießbar geworden, aber die Kiste war gut und stabil. Die seltsamen Zeichen darauf zeigten, dass sie von weither gekommen war. Er selbst war noch nie weiter als bis Exeter gereist.
    »Sieh, sie kommt zu sich!«
    Die entscheidenden Persönlichkeiten von Little Willow upon the Sea standen in der zweiten Gästekammer der Schenke »Zum guten Fang« und blickten auf das Strohlager zu ihren Füßen und die darauf liegende Frau. Ihre Lider flatterten, aber sie öffnete die Augen nicht.
    »Flöß ihr noch etwas von dem Wein ein.«
    »Ich habe ihr schon genug Wein gegeben«, antwortete Trudy, die Frau des Wirtes, die die Schiffbrüchige ausgezogen, abgetrocknet und in ein Nachthemd ihrer dreizehnjährigen Tochter gesteckt hatte. Sie beugte sich wieder über die Frau und tätschelte ihre Wange.
    »Komm, mein Mädchen, es ist Zeit, aufzuwachen!«, sagte sie eindringlich.
    Wieder flatterten die Lider mit den langen schwarzen Wimpern, und die Frau murmelte etwas.
    »Ruhe! Sie hat etwas gesagt!«
    Im Raum herrschte gespanntes Schweigen, als die Frau erneut die Lippen öffnete und etwas sagte. Die Wirtin richtete sich abrupt auf.
    »Sie ist Ausländerin!«
    Die Dorfältesten sahen sich an. Auch das noch. Wahrscheinlich eine Französin. Sie sah schon so fremdländisch aus: klein, zierlich, mit olivfarbener Haut und schwarzem Haar. Dazu war sie eine echte Schönheit, wie die Männer von Little Willow upon the Sea sofort festgestellt hatten.
    »Hol den Riesen, der ist doch auch Ausländer.«
    Die Wirtin stand auf und warf ihrem Mann einen missbilligenden Blick zu. Man sprach nicht abfällig über zahlende Gäste. Aber der seltsame Pilger, der gestern hier abgestiegen war, war sicher kein Einheimischer, auch wenn er recht gut Englisch sprach. Vielleicht würden die beiden sich ja verstehen, so als Ausländer unter sich. Also schob sie sich zwischen den Männern hindurch und ging die Treppe hinunter, um den Gast aus der Schankstube zu holen. Als sie wiederkam, fand sie die Szene in ihrem Gästezimmer ein wenig verändert vor. Die Schiffbrüchige war aufgewacht und hatte sich, die Knie angezogen, an die Wand gepresst und die Decke bis unter das Kinn gezogen. Sie
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