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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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›Ich kann nicht mehr, Kinder, ich liebe euch.‹ Die Schrift ist erst vor Kurzem sichtbar geworden.«
    Die Frau holte aus der Tasche ihres schwarzen Mantels ihren Zettel.
    Sie las ihn und rief: »Guck mal, die Buchstaben lösen sich auf! Wahrscheinlich liest die Nachricht schon jemand! Den Zettel hat schon jemand gefunden … Der Buchstabe ›I‹ und der Buchstabe ›c‹ fehlen! Und der Buchstabe ›h‹ verschwindet gerade!«
    Da fragte das Mädchen: »Weißt du, warum wir hier sind?«
    Â»Ich weiß es. Aber ich sag’s dir nicht. Du erfährst es noch früh genug. Du hast noch genug Streichhölzer.«
    Da zog das Mädchen aus der Manteltasche die Schachtel und hielt sie der Frau hin. »Nimm sie alle! Aber sag es mir!«
    Die Frau schüttete die Hälfte der Streichhölzer in ihre Hand und sagte: »Für wen hast du den Zettel geschrieben? Weißt du das noch?«
    Â»Nein.«
    Â»Zünde noch ein Streichholz an, das hier geht gleich aus. Mit jedem neuen Streichholz konnte ich mich an mehr erinnern.«
    Da zündete das Mädchen vier Streichhölzer auf einmal an.
    Plötzlich war vor ihr alles hell, und sie sah, wie sie auf einem Hocker unter der Glühbirne stand und auf dem Tisch der kleine Zettel lag: »Ich bitte niemandem die Schuld zu geben.« Draußen die nächtliche Stadt, und in dieser Stadt eine Wohnung, in der ihr Geliebter, ihr Bräutigam, lebte und nicht mehr ans Telefon ging …
    Das letzte Streichholz brannte ab, aber das Mädchen wollte allzu gern wissen, wer im Nachbarzimmer lag und schnarchte und stöhnte, während sie auf dem Hocker stand und ihren hauchdünnen Schal an die Rohrleitung an der Decke knotete …
    Wer schlief im Nachbarzimmer – und wer schlief nicht? Sondern lag da und schaute mit wunden Augen ins Leere und weinte …
    Wer?
    Das Streichholz war fast abgebrannt.
    Noch ein bisschen – und das Mädchen hatte alles begriffen.
    Da nahm sie im fremden dunklen Haus, in der fremden Wohnung, ihren zerknüllten Zettel und zündete ihn an!
    Und sie sah, dass dort, in dem anderen Leben, hinter der Wand, ihr Großvater schnarchte und neben ihm die Mutter auf der Campingliege lag, denn er war sehr krank und verlangte ständig zu trinken.
    Aber es war noch jemand da, dessen Anwesenheit sie ganz deutlich spürte und der sie liebte – der Zettel in ihrer Hand brannte schnell ab.
    Dieser Jemand stand still vor ihr und hatte Mitleid mit ihr und wollte sie stützen, aber sie konnte ihn nicht sehen und hören und wollte nicht mit ihm sprechen, ihr Herz tat weh, sie liebte ihren Bräutigam und nur ihn, weder Mutter noch Großvater noch den, der vor ihr stand in jener Nacht und sie zu trösten versuchte.
    Und im letzten Augenblick, als die letzte Flamme verlosch, wollte sie plötzlich mit dem Menschen sprechen, der unter ihr stand und dessen Augen merkwürdigerweise auf der gleichen Höhe waren wie ihre.
    Aber der kleine Zettel verlosch wie der Rest ihres Lebens im Zimmer mit der Glühbirne.
    Da warf das Mädchen den schwarzen Mantel ab und berührte, sich die Finger verbrennend, mit der letzten kleinen Flamme den trockenen schwarzen Stoff.
    Etwas knallte, es roch versengt, und hinter der Tür heulten zwei Stimmen auf.
    Â»Zieh schnell deinen Mantel aus!«, schrie das Mädchen der Frau zu, aber die lächelte bereits sanft mit breitem, offenem Mund, in ihrer Hand brannte das letzte Streichholz ab …
    Da berührte das Mädchen, das sowohl hier, im dunklen Flur, vor dem rauchenden schwarzen Mantel, als auch dort, bei sich zu Hause, unter der Glühbirne stand, vor sich die zärtlichen, liebevollen Augen – sie berührte mit dem rauchenden Ärmel den schwarzen Ärmel der Frau, und da ertönte erneut ein zweistimmiges Heulen im Treppenhaus, von dem Mantel der Frau stieg stinkender Qualm auf, die Frau riss sich ihn in Panik vom Leib.
    Und es verschwand alles ringsum.
    Im selben Augenblick stand das Mädchen auf dem Hocker, mit dem Schal um den Hals, und blickte schluckend auf den Tisch, wo der Zettel lag. Sie sah rote Kreise.
    Im Nachbarzimmer stöhnte und hustete es, und die verschlafene Stimme der Mutter sagte: »Komm trinken, Vater!«
    Das Mädchen lockerte den Schal, so schnell sie konnte, löste mit unsicheren Fingern den Knoten am Rohr unter der Decke, sprang vom Hocker, zerknüllte den Zettel, warf sich
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