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Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte

Titel: Es war einmal eine Frau, die ihren Mann nicht sonderlich liebte
Autoren: Ljudmila Petruschewskaja
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Boden.
    Â»Komm rein«, sagte die Frau und hielt das Streichholz hoch, das kurz vorm Verlöschen war.
    Das Mädchen trat schnell ein und schloss die Tür hinter sich.
    Im Treppenhaus war es still, als ob jemand stehen geblieben sei und überlege.
    Â»Was dringst du nachts gewaltsam in fremde Wohnungen ein?«, fragte die Frau mit dem Streichholz grob.
    Â»Lassen Sie uns weiter nach hinten gehen«, flüsterte das Mädchen, »irgendwohin, ich erkläre Ihnen alles.«
    Â»Das kann ich nicht«, sagte die Frau sehr leise. »Das Streichholz wird unterwegs verlöschen. Wir kriegen nur zehn Stück.«
    Â»Ich habe Streichhölzer«, sagte das Mädchen froh, »hier.«
    Sie tastete nach der Schachtel in der Manteltasche und hielt sie der Frau hin.
    Â»Zünde es selber an«, forderte die Frau.
    Das Mädchen zündete ein Streichholz an, und beide gingen mit dem flackernden Licht durch den Flur.
    Â»Wie viele hast du?«, fragte die Frau mit einem Blick auf die Schachtel.
    Das Mädchen schüttelte die Streichhölzer.
    Â»Nicht viele«, sagte die Frau. »Jetzt sicher nur noch neun.«
    Â»Wie kommt man hier raus?«, flüsterte das Mädchen.
    Â»Indem man aufwacht«, antwortete die Frau, »doch das gelingt nicht immer. Ich zum Beispiel wache nicht mehr auf. Meine Streichhölzer sind alle, Sense.«
    Und sie lachte, wobei sie ihre großen Zähne entblößte. Sie lachte sehr leise, ja lautlos, als wolle sie einfach nur den Mund so weit wie möglich öffnen, wie beim Gähnen.
    Â»Ich will aufwachen«, sagte das Mädchen. »Lassen Sie uns diesen schrecklichen Traum beenden.«
    Â»Solange das Streichholz brennt, kannst du dich noch retten«, sagte die Frau. »Ich habe mein letztes gerade eben aufgebraucht, ich wollte dir helfen. Jetzt ist mir alles einerlei. Ich möchte sogar, dass du hierbleibst. Weißt du, es ist alles sehr einfach, du darfst bloß nicht atmen. Dann kannst du fliegen, wohin du willst. Du brauchst kein Licht, musst nicht essen. Der schwarze Mantel erlöst dich von allem Leid. Ich werde bald losfliegen und nachschauen, was meine Kinder machen. Sie waren ganz schön wild und haben mir nicht gehorcht. Einmal hat mein Jüngster mich angespuckt, als ich ihnen gesagt habe, dass der Papa nicht mehr kommt. Er hat geweint und gespuckt. Jetzt kann ich sie nicht mehr lieben. Und dann träume ich noch davon nachzuschauen, wie es meinem Mann und seiner Freundin geht. Sie sind mir jetzt ebenfalls ganz egal. Ich habe sehr viel begriffen. Ich war eine große Närrin!«
    Und sie lachte wieder.
    Â»Mit dem letzten Streichholz ist der Gedächtnisschwund vorbei. Jetzt kann ich mich wieder an mein ganzes Leben erinnern und glaube, dass ich im Unrecht war. Ich muss über mich lachen.«
    Sie lachte tatsächlich übers ganze Gesicht, aber lautlos.
    Â»Wo sind wir?«, fragte das Mädchen.
    Â»Auf diese Frage gibt es keine Antwort, bald wirst du es selbst sehen. Es wird riechen.«
    Â»Wer bin ich?«, fragte das Mädchen.
    Â»Du wirst es erfahren.«
    Â»Wann?«
    Â»Wenn das zehnte Streichholz abgebrannt ist.«
    Das Streichholz des Mädchens brannte bereits herunter.
    Â»Solange ein Streichholz brennt, kannst du aufwachen. Aber ich weiß nicht, wie. Ich habe es nicht geschafft.«
    Â»Wie heißt du?«, fragte das Mädchen.
    Â»Mein Name wird bald mit Ölfarbe auf ein Eisenschild geschrieben. Und in einen kleinen Erdhügel gesteckt. Dann werde ich ihn lesen können. Die Farbbüchse und das Schild stehen schon bereit. Aber das weiß nur ich, die anderen haben noch keine Ahnung. Weder mein Mann noch seine Freundin noch meine Kinder. Wie öde das alles ist!«, sagte die Frau. »Bald fliege ich weg und sehe mich von oben.«
    Â»Flieg nicht weg, ich bitte dich«, sagte das Mädchen. »Willst du meine Streichhölzer haben?«
    Die Frau dachte nach und sagte: »Gut, eins nehme ich. Mir ist, als ob mich meine Kinder noch lieben. Als ob sie weinen. Als ob niemand auf der Welt sie haben will, weder ihr Vater noch seine neue Frau.«
    Das Mädchen steckte ihre freie Hand in die Manteltasche und holte statt der Streichholzschachtel den Zettel heraus.
    Â»Guck mal, was hier steht: ›Ich bitte niemandem die Schuld zu geben, Mama, verzeih.‹ Vorhin war der Zettel noch leer.«
    Â»Ach, so hast du es geschrieben! Und ich habe geschrieben:
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