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Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman

Titel: Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen. Roman
Autoren: Frank Spilker
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sie irgendwann einmal modisch war. Kleidung hat für Jimi einfach nur die Funktion, mögliche Unannehmlichkeiten des Wetters auszugleichen. Er sieht aus wie ein »junger Mann zum Mitreisen gesucht«, nur dass er auch nicht mehr jung ist. Heute trägt er außerdem Schlittschuhe an den Füßen.
    »Du musst echt aufhören, dich so abzukapseln.« Er sagt »abschukaspeln«, ein Sprachfehler. Jimi stakst auf seinen Schlittschuhen vor mir her und gibt sich Mühe, nicht hinzufallen. Wir können beide nicht Eislaufen, weiß der Geier, warum wir uns ausgerechnet immer hier treffen müssen. Jedes Jahr frage ich mich das wieder.
    »Wir haben schon wochenlang nicht mehr telefoniert, geschweige denn, dass wir mal ausgegangen sind«, fährt Jimi fort. »Das ist nicht gut. Du musst mehr Zeit mit Leuten verbringen, die nichts mit deinem Scheißschob schu tun haben. Wenigstens hältst du dich noch an die Grundregeln der Traditiooo…« Er zieht das Wort so in die Länge, weil er einem strauchelnden Pärchen ausweichen muss, und knallt mit einem dumpfen Rumpeln in die äußere Eisbahnbegrenzung.
    Nach zwei oder drei weiteren trägen Runden humpeln wir über die rutschfesten Gummimatten zu dem kleinen Kiosk hinüber, um uns einen Glühwein zu besorgen. Um uns herum herrscht dichtes Teenagertreiben. Viele wollen ihren gesunkenen Zuckerspiegel mit Süßigkeiten aus dem Kiosk wieder auf Normalniveau bringen.
    »Was soll ich machen? Es gibt halt immer irgendetwas, das dringend erledigt werden muss«, erwidere ich lahm und stelle mich ans Ende der Schlange.
    »Ich glaube, du musst lernen, zwischen dem schu unterscheiden, was dringend ist, und dem, was wichtig ist. Du verlierst sonst die Kontrolle über dein Leben.«
    »Ich kann dir sagen, was wichtig ist: dass die hier mal ein bisschen schneller machen. Ich brauche jetzt nämlich einen Glühwein, dringend.« Als ich endlich einen in der Hand habe, füge ich versöhnlich hinzu: »Du findest, ich blicke nicht mehr richtig durch? Ich habe so was wie ein Messie-Problem?«
    »So was in der Art.« Ein relativierendes Lächeln umspielt seinen Mund. Er möchte seiner Aussage die Schwere nehmen, obwohl es ihm ernst damit ist.
    »Du hast Andrea verloren, weil du immer versuchst, für alle da schu sein. Du solltest aber lieber dich selbst retten. Im Moment produzierst du nur ein riesiges Durcheinander, mit dem du niemandem hilfst. Und vor allem«, fügt er noch bedeutungsschwanger hinzu: »Du musst herausfinden, warum du immer wieder die gleichen Fehler machscht.«
    Ich frage mich wieder einmal, wie er es fertigbringt, meine Situation einzuschätzen, obwohl wir so gut wie gar nicht miteinander geredet haben. Wir sind zusammen zur Schule gegangen und später auch beide in Hamburg gelandet, wo wir dann aber völlig unterschiedliche Wege eingeschlagen haben. Er Naturwissenschaften, ich Grafik-Design. Für mindestens fünfzehn Jahre sind das dann strikt getrennte Welten, die nichts miteinander zu tun haben wollen. Wir unterhalten uns allerdings fast nie über die alten Zeiten. Ich würde es nicht aushalten, mit jemandem herumzuhängen, mit dem man ständig über die gemeinsame Kindheit redet. Dafür ist noch genug Zeit, wenn irgendwann die Altersdemenz einsetzt.
    Jimis Leben verläuft zur Zeit eher ruhig, wenn man mal davon absieht, dass er gerade wieder anfängt, seinen Job zu hassen. Er arbeitet in der IT -Branche und seine jeweilige Tätigkeit geht ihm regelmäßig alle drei Jahre dermaßen auf die Nerven, dass er sie dringend hinschmeißen muss. Meistens endet das in einer Katastrophe, aus der er sich aber immer irgendwie herauswindet, um dann in seinem nächsten Job noch mehr zu verdienen.
    Jedes Mal, wenn ich die Hand loslasse, guckt mich das Mädchen böse an und greift wieder nach mir. Ihre Hand ist zugleich verschwitzt und kalt. Wir laufen auf dem kleinen grünen Band zwischen der Straße und dem Fluss entlang. Schließlich biegen wir in einen Weg ein. Er windet sich eine Anhöhe hinauf, auf der ein paar Häuser stehen. Eines der Gebäude ist sehr alt und mit Moos und Efeu bewachsen. Vor dem Haus stehen Wächter aus Stein, die leblos in die Ferne blicken. Ein schmiedeeisernes Tor quietscht, als wir den Hof betreten.
    »Sie hat einen Neuen, aber das weißt du sicher schon.«
    »Wer hat was?«
    »Sag mal, hörst du nicht schu? Andrea natürlich.«
    Ich verschlucke mich am Rest meines Glühweins. »Woher willst du das wissen?«
    »Ich habe sie mit ihm gesehen. Oben in Ottensen, wo ich wohne und du
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