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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Michel Verne
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ihn auf der Karte ein. Da konnten wir auch erkennen, daß da vorher der offene Atlantik gewesen war; das Land befand sich also in der Nähe des Punktes, wo früher Kap Verde gewesen. Jedenfalls erstreckte sich nun das Land nach Westen und das Meer nach Osten, bis zum Horizont.
    So unfreundlich und ungastlich der Kontinent, auf den wir den Fuß gesetzt hatten, auch war, wir waren auf alle Fälle gezwungen, uns damit zufriedenzugeben. Darum löschten wir die ganze Ladung der
Virginia
sogleich. Wir trugen alles, was sie enthielt, wahllos oben auf den Felsen. Vorher hatten wir das Schiff solide mit vier Ankern befestigt, die bei fünfzehn Faden Tiefe den Meerboden erreichten. In dieser ruhigen Bucht lief die
Virginia
so keine Gefahr, und wir konnten sie unbesorgt sich selbst überlassen.
    Sobald wir die ganze Ladung an Land gebracht hatten, konnte unser neues Leben beginnen. Vor allem mußten wir …
     
    Als der Zartog Sofr an diesem Punkt seiner Übersetzung war, mußte er die Arbeit unterbrechen. Das Manuskript wies hier eine erste Lücke auf, den vielen Seiten nach fehlte wahrscheinlich Wichtiges; dieser Lücke folgten übrigens noch mehr und noch wichtigere, soweit er das beurteilen konnte. Ohne Zweifel war eine große Menge der Manuskriptblätter durch Feuchtigkeit zerstört worden – der Behälter hatte also nicht dicht gehalten. Es gab von dieser Stelle an nur noch mehr oder weniger ausführliche Fragmente, der übrige Text war für immer zerstört. Sie folgten sich in etwa dieser Reihe: …beginnen uns ans Klima zu gewöhnen.
    Wie lange ist es wohl her, seit wir an dieser Küste vor Anker gegangen sind? Ich weiß nichts mehr davon. Ich habe Dr. Moreno gefragt, der einen Kalender über die verflossenen Tage nachführt. Er hat mir gesagt: »Sechs Monate …«; dann fügte er hinzu: » …auf einige Tage genau«, denn auch er befürchtet, er könnte sich täuschen.
    So weit ist es mit uns also gekommen! Es hat bloß sechs Monate gebraucht – und schon können wir uns nicht mehr auf unsere Zeitmessung verlassen. Das ist ja eine schöne Aussicht!
    Unsere Nachlässigkeit ist jedoch nicht erstaunlich. Wir brauchen nämlich unsere ganze Kraft hier, um unser Leben zu erhalten. Dem gilt alle unsere Aufmerksamkeit. Die Ernährung ist ein Problem, das den ganzen Tag in Anspruch nimmt. Was essen wir? Nun, Fische, wenn wir welche finden. Das wird nämlich von Tag zu Tag schwieriger, denn unsere unaufhörliche Jagd auf sie macht sie scheu. Wir essen ferner Schildkröteneier und einige genießbare Algen. Abends sind wir zwar satt, aber auch erschöpft und denken nur noch ans Schlafen. Aus den Segeln der
Virginia
haben wir Zelte aufgestellt. Ich stelle mir vor, daß wir in Bälde eine etwas solidere Unterkunft werden bauen müssen.
    Hie und da erlegen wir einen Vogel: die Luft ist doch nicht so verwaist, wie wir ursprünglich angenommen haben. Wir kennen bis jetzt etwa zehn verschiedene Arten auf unserem neuen Kontinent. Es sind hauptsächlich Langstreckenflieger: Schwalben, Albatrosse, Kormorane und einige mehr. Es ist anzunehmen, daß sie auf diesem Lande ohne Vegetation zu wenig Nahrung finden, denn sie fliegen ständig im Kreise um unser Lager und hoffen auf Reste unserer elenden Mahlzeiten. Hie und da finden wir auch etwa einen, der vor Hunger umgekommen ist, was uns wiederum Pulver und Blei spart.
    Glücklicherweise besteht eine Möglichkeit, unsere Lage etwas zu bessern: wir haben im Bauch der
Virginia
einen Sack Korn entdeckt, von dem wir die Hälfte ausgesät haben. Es wird uns bedeutend besser gehen, wenn einmal das Korn gewachsen ist. Doch wird es wachsen? Den Boden bedeckt eine dicke Alluvialschicht, ein sandhaltiger Schlamm, der durch zersetzte Algen angereichert ist. So mittelmäßig der Humus auch sein mag, so ist es doch immerhin Humus. Als wir hier landeten, war er noch mit Salz getränkt. Doch seit den diluvialen Regengüssen ist er ziemlich ausgewaschen worden. Alle Vertiefungen weisen jetzt Süßwasser auf.
    Immerhin ist die Alluvialdecke noch nicht ganz salzfrei, außer auf der ganz dünnen Oberschicht: die Bäche und Flüsse, die gegenwärtig im Entstehen sind, haben einen stark brackigen Geschmack, was beweist, daß die unteren Alluvialschichten immer noch mit Salz gesättigt sind.
    Damit wir das Korn aussäen und die andere Hälfte als Reserve zurückbehalten konnten, mußte es beinahe zu einem heftigen Streit kommen: die eine Gruppe der Schiffsbesatzung wollte sofort Brot daraus backen. Wir waren
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