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Erzählungen

Erzählungen

Titel: Erzählungen
Autoren: Michel Verne
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hatten einige der Unsrigen es unternommen, Häuser zu bauen. Diese nie fertiggestellten Konstruktionen liegen in Ruinen. Heute schlafen wir alle zu jeder Jahreszeit im Freien.
    Seit langer Zeit ist von den Kleidern, die wir einst trugen, nichts übriggeblieben. Einige Jahre lang haben wir kunstvoll gewobene Algenstoffe als Ersatz getragen – und kunstvoll gewoben waren sie bloß zu Beginn; dann wurden sie gröber und gröber. Schließlich sind auch die uns verleidet, da sie bei diesem milden Klima überhaupt unnötig waren. Jetzt leben wir nackt wie jene, die wir einst ›Wilde‹ schimpften …
    Essen, essen – das ist unser unaufhörliches Sinnen, unsere ausschließliche Beschäftigung.
    Immerhin: wir haben doch noch einige Endchen vergangener Ideen und Gefühle bewahrt. Mein Sohn Hans, jetzt ein gereifter Großvater, hat seine zärtlichen Gefühle noch nicht ganz verloren, und mein Exchauffeur, Modeste Simonat, erinnert sich sogar noch dunkel daran, daß ich einst sein Herr war.
    Doch mit diesen Menschen, mit uns, werden diese vagen Andeutungen, daß wir einst Menschen waren – denn wir sind es eigentlich schon nicht mehr –, für immer von der Erde verschwinden. Die Wesen der Zukunft, die hier Geborenen nämlich, haben ja nie eine andere Existenz gekannt. Die Menschheit wird auf diese nun auch schon Erwachsenen beschränkt sein – ich habe einige im Blickfeld, während ich dies schreibe –, die weder lesen noch rechnen, ja kaum reden können, auf die Kinder mit ihren spitzen Zähnchen, die aus nichts zu bestehen scheinen als aus einem unersättlichen Bauch. Und nach diesen werden wieder neue Kinderherden kommen, die wieder Erwachsene sein werden, die wieder Kinder haben – und wieder und wieder – und immer animalischere, die sich von ihren denkfähigen Vorfahren ständig weiter entfernen.
    Ich glaube sie zu erkennen, diese Menschen der Zukunft, Wesen ohne artikulierte Sprache, mit verlöschter Intelligenz, mit einem von groben Haaren bedeckten Körper … ich kann sie sehen, wie sie durch diese düstere Wüste irren …
    Nun ja, wir wollen uns anstrengen, daß es nicht so herauskommt. Wir wollen alles in unserer Macht Stehende versuchen, daß die Errungenschaften der Menschheit, zu der wir noch gehörten, nicht auf ewig verlorengehen. Dr. Bathurst, Dr. Moreno und ich wollen unser eingeschlafenes Gehirn wachrütteln, es zwingen, sich an all das zu erinnern, was es einst beherrschte. Wir wollen uns in die Arbeit teilen und auf diesem Papier, mit dieser Tinte – sie stammen beide noch von der
Virginia
– alles, was wir über die verschiedenen Wissenschaften zusammentragen können, niederschreiben, damit später die Menschen, falls sie durchhalten und falls sie, nach einer kürzeren oder längeren Zeit der Primitivität, plötzlich wieder Durst nach Erleuchtung haben sollten, die Zusammenfassung finden und lesen, die ihre Urahnen verfaßten. Und mögen sie dann das Gedächtnis dieser Ahnen segnen, die sich aufs Geratewohl zusammentaten, um den Leidensweg ihrer Menschenbrüder, die sie ja nie kennen werden, etwas zu verkürzen!
     
    Am Rande des Grabes
     
    Es sind jetzt nahezu fünfzehn Jahre vergangen, seit die obigen Zeilen verfaßt wurden. Dr. Bathurst und Dr. Moreno sind nicht mehr. Von all denen, die einst hier landeten, bin ich, einer der ältesten, allein noch am Leben. Doch der Tod wird mich ereilen, wenn meine Stunde geschlagen hat. Ich spüre, wie er von meinen schon erkalteten Beinen zu meinem Herzen aufsteigt, das sehr bald stehenbleiben wird.
    Unsere Aufgabe ist beendet. Ich habe die Manuskripte, die eine Zusammenfassung der menschlichen Wissenschaft bergen, in eine eiserne Kiste gelegt, die noch von der
Virginia
stammt. Dann habe ich sie tief im Boden vergraben. Daneben werde ich diese wenigen Seiten in einem Aluminiumbehälter der Erde übergeben.
    Findet wohl jemals einer diese der Erde anvertraute Hinterlassenschaft? Wird überhaupt jemals einer danach suchen? …
    Das bleibt dem Schicksal überlassen. Und nun Gott befohlen! …
    Je länger der Zartog Sofr an diesem unglaublichen Dokument übersetzte, desto mehr packte sein Herz eiskaltes Entsetzen.
    Wie? Stammte die Rasse der Andart’-Iten-Schu von jenen Menschen ab, die nach langen Monaten der Irrfahrt auf den Weltmeeren an diesem Punkte der Küste ihre Seefahrt beendeten, wo heute Basidra stand?
    Dann hatten diese elenden Wesen einst zu einer ruhmreichen Menschheit gehört, verglichen mit der die jetzige einem stammelnden Kleinkind
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