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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Autoren: Tilman Röhrig
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folgenden Jahre sog er wissbegierig seine neue Umwelt in sich auf, sprach deutsch nur, wenn er mit der Mutter allein war, sonst aber nordisch wie alle Kinder in Haithabu, wusste bald um jeden Brauch, fühlte und glaubte wie sie. Die Zeit in Deutschland war in ihm nicht ausgelöscht, war aber zu einem fernen Geheimnis geworden, an das er nur selten rührte.
    Tyrkir zählte elf Winter, als der reiche Thorvald mit seinem Schiff von Norden kam, die Sklavin sah und für sie und das Kind einen hohen Preis zahlte. Wie laut er lachen konnte, wie er die Mutter an sich presste! Ja, er flößte dem schmächtigen Jungen Angst ein.
    Während der Rückfahrt nach Norwegen erkrankte die Mutter, und kaum war der Hof in Jaedern erreicht, lag sie blass und elend auf der Trage. Nach wenigen Tagen schon starb sie und Tyrkir hörte den Bauern fluchen: »Ein schlechtes Geschäft. Nicht ein einziges Mal hat sie mir Mannesfreuden bereitet, keinen Handgriff hat sie im Haus getan. Und dafür hab ich gutes Hacksilber hergegeben.«
    Er sah den weinenden Jungen. »Dich will ich nicht, so mager, wie du bist. Esser hab ich genug. Dich überlasse ich den Wölfen.«
    Der Kleine wischte sich die Augen. »Nicht wegjagen, bitte«, flüsterte er. »Ich habe viel gelernt, Herr«, und zeigte, wie geschickt er mit dem Messer schnitzen konnte, zeigte, wie rasch er Feuer schlug, rannte quer über den Hof und kam zurück. »So schnell bin ich.«
    Der Herr brummte nur in seinen Bart: »Was kannst du noch?«
    Über Kräuter und Heilwurzeln wusste der kleine, braunhaarige Deutsche mit den Sommersprossen Bescheid. »Meine Mutter hat es mir beigebracht. Außerdem war ich bei uns im Dorf mit auf dem Weinberg …«
    »Wein?« Thorvald leckte nachdenklich die Lippen. »Du Knirps weißt, wie Wein gekeltert wird?«
    »Ja, alles weiß ich von meiner Mutter«, log er. »Glaub mir, Herr. Ich bin nützlich.« In seiner Not breitete er die Arme aus: »Auch kenne ich die Götter, alle: Odin, Freyr, Thor und ganz bestimmt den weisen Gott Tyr. Er hat den wilden Fenrisswolf angekettet bis zum Ende aller Zeiten. Na ja, die rechte Hand hat er dabei verloren. Aber ich hab noch zwei. Tyr ist der beste Krieger und der klügste Gelehrte. Deshalb hat mich Mutter nach seinem Namen genannt, weil ich werden soll wie Gott Tyr …«
    »Nun halt’s Maul, Knirps! Keiner von uns wird wie ein Gott.« Thorvald grinste breit. »Dein Alles, Alles, Alles verstopft mir noch die Ohren. Na gut, darfst bleiben. Ich gebe dich meinem Sohn Erik. Und wehe, du hältst ihn von der Arbeit ab.«
    Im Verlauf von drei Jahren war eine Freundschaft zwischen den beiden gewachsen. Erik, der starke, leicht aufbrausende Erbsohn, und der wendige, klar und scharf denkende, schmalbrüstige Sklave hatten Vertrauen zueinander gefunden. Und heute? Sie teilten Freude und Leid, konnten selbst heftige Meinungsverschiedenheiten miteinander austragen, ohne dass sie sich entzweiten. So wird es bleiben, dachte Tyrkir und kehrte aus seinen Gedanken zurück.
    »… Es kam zum Kampf!« Der Freund erinnerte gerade an den Streit des Vaters mit den Nachbarn in Jaedern. Eine Beleidigung, die Thorvald nicht ungerächt hinnehmen konnte, hatte den Anlass gegeben. »Bei Thor, unser Kampf war ehrenhaft. Kein Hinterhalt, offen stellten wir uns den Feinden. Aber die Zeugen auf dem Gerichtstag sagten gegen uns aus. Sie waren bestochen.«
    Die Thingversammlung hatte Thorvald des heimtückischen Mordes für schuldig befunden und das Urteil lautete: Ehrverlust und Verbannung. Nur wenig Zeit blieb dem Bauern, ehe er von jedermann gejagt und getötet werden durfte.
    Überhastet verkaufte Thorvald den Hof, rüstete sein Schiff aus und stach mit dem Sohn, einigen Knechten und Mägden, wenigem Vieh und den notwendigsten Habseligkeiten in See.
    Sein Ziel war Island, das gelobte Land der Auswanderer. Sieben Tage westwärts im Auf und Ab der stürmischen Wellen, der Drache am Bug trotzte dem Meer.
    Aber sie kamen Jahre zu spät, um auf Island noch guten, fruchtbaren Boden zu erhalten. »Kein Platz für euch!« Erik ballte die Faust. »Ihr, meine Freunde, habt es selbst immer wieder gehört. Kein Platz! Wir wurden weiter und weiter nach Norden abgedrängt. Erst hier auf Spitzklipp am Hornstrand konnten wir endlich den Hof errichten.«
    Schwer hatten sie gearbeitet, auch der Vater, bis ihn vor Wochen Müdigkeit überfiel, und weil die Glieder nicht mehr gehorchten, war er im Haus geblieben.
    »Nehmt Abschied, Freunde! Trinkt mit mir auf Thorvald!«
    Ein
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