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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Autoren: Tilman Röhrig
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beim Allthing im Herbst, aber ihr genügte er. An diesem Markttag maß sie die Zeit: War er vorbei, so lebte sie eine Weile von der Erinnerung und bis zum nächsten Besuch dann in der Vorfreude.
    Das grobe Kittelkleid hatte Thjodhild mit dem Untergewand und ihrem von Schulterfibeln gehaltenen Trägerrock getauscht, darüber ihr großes grünes Schaltuch geschlungen und es vor der Brust mit einer silbernen Spange zusammengesteckt. Die Kette aus Bronzemedaillons schmiegte sich kühl um den Hals der Achtzehnjährigen. Sorgfältig hatte sie ihr langes blondes Haar gekämmt, es fiel unter dem Kopftuch offen bis weit über den Rücken.
    Frei sein von allen Pflichten! Kein mühevolles Schlagen der Salzbutter heute, keine Arbeit im Haus oder Stall! Dafür andere Menschen sehen und den eintönigen Alltag für ein paar Stunden vergessen.
    Die kränkelnde Mutter war auf dem Hof geblieben, weil ihr Bein wieder schmerzte, nur der Stiefvater und sie hatten in der Frühe die Pferde gesattelt und waren durchs obere Habichtstal den Bach entlang, am See und Wald vorbei hinunter zum Strand geritten. Unterwegs hatten sich einige Nachbarn angeschlossen, Neuigkeiten wurden ausgetauscht und schnell war die Zeit vergangen.
    Selbst das Wetter hat ein Einsehen, dachte sie. Bis auf wenige, schnell ziehende Wolkenschatten strahlte die Augustsonne vom glasblauen Himmel auf Buden und Verkaufsstände nieder. Gelächter, Rufen und Feilschen erfüllten den kleinen Handelsplatz. Das klare Licht und die wohltuende Wärme beschwingten die Leute.
    Inzwischen wartete Thjodhild schon eine Weile auf den Vater. Er stand mit befreundeten Großbauern beim Rosshändler und begutachtete die kleinen kraftvollen Tiere, griff in die üppigen Mähnen wie in Frauenhaar, prüfte das Gebiss, strich den Bauch und die Sehnen der Vorderhufe. »Und ich sage, diese Stute ist kräftiger!«
    »Wenn du dich nicht irrst, Thorbjörn.«
    »Sag das nicht! Von Pferden verstehe ich mehr als du.«
    Eine hitzige Auseinandersetzung kündigte sich an. Dieses Hin und Her kannte Thjodhild nur zu gut, und bis die Männer sich einigten, würde noch viel Zeit vergehen. Sie schlenderte weiter durchs Gedränge. Ohne es sich anmerken zu lassen, nur aus den Augenwinkeln, genoss sie die hungrigen Blicke der jungen Bauern.
    Die unverheirateten Söhne der reichen Grundbesitzer waren nicht bloß der Geschäfte wegen gekommen, sondern zeigten sich in Festkleidung und hofften, endlich eine Braut zu finden. Einige hatten schon um Thjodhild angehalten, bisher aber war ihr keiner recht gewesen. Und da Thorbjörn selbst Nachwuchs versagt geblieben war, er dafür aber die einzige Tochter seiner Frau wie sein eigen Blut liebte und sie nicht ohne ihre Einwilligung verheiraten wollte, war Thjodhild immer noch ledig.
    »Ich warte, bis mir einer gefällt«, sagte sie oft zur Mutter, wenn sie gemeinsam im Saunahaus den Dampf und die Wärme genossen.
    »Warte nicht zu lange, Mädchen!«, hatte die alte Frau erst vor wenigen Tagen gewarnt. Ihren ersten Mann Jorund hatte sie früh verloren und war froh gewesen, in Thorbjörn wieder einen tüchtigen, gutherzigen Bauern für den Habichtshof gefunden zu haben. »Blumen sind schön, wenn sie gerade aufblühen. Schnell aber beginnen sie zu welken.« Sie strich über ihre ausladenden Brüste und wog sie in den Händen, dieses Busens wegen wurde sie Thorbjörg Schiffsbrust genannt. »Früher waren sie fest und straff. Und heute?«
    »Sorg dich nicht! Ich weiß, was ich will.«
    »Nein, hör auf mich! Der jüngere Bruder des Herrn vom Valtjofshof. Dieser Ejolf, das wäre ein …«
    »Bitte schweig!«, war die Tochter aufgefahren, um sofort einzulenken: »Verzeih, Mutter!« Liebevoll hatte sie ihr den Rücken gerieben. »Bitte, versteh doch, ganz gleich, wie reich seine Familie ist, mich friert schon bei dem Namen.«
    Thjodhild schüttelte den Kopf. Nie werde ich Ejolf Dreck heiraten. Obwohl er jetzt als Mann stets aufgeputzt daherkam, war ihm der Beiname Dreck geblieben, weil er sich als Kind stets mit dem eigenen Kot besudelt hatte. Sicher würde er ihr heute auf dem Markt über den Weg laufen. Sie sah schon sein Grinsen, hörte sein prahlerisches Gerede. Und wie jedes Mal würde sie sich abwenden, bis er es endlich begriffen hätte.
    Duft nach gebratenem Seehundfleisch stieg ihr in die Nase. Nein, nicht gleich, später wollte sie mit dem Vater gemeinsam etwas essen, zunächst aber in aller Ruhe die Auslagen betrachten.
    Ja, ein schöner Tag! Neben Fischern und
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