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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Autoren: Tilman Röhrig
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ihm. So klein war ich und so mager.«
    »Dafür bist du klug und geschickt, das hat den Vater beeindruckt.«
    Die Knechte riefen. Allein die frisch angepresste Schicht aus Grassoden zeigte noch, wo die Öffnung gewesen war. Sie hatten schnelle Arbeit geleistet und kamen herüber.
    »Da vorn, direkt am Rand der Klippe soll er liegen«, bestimmte Erik. »Mit Blick nach Osten übers Meer. Hebt das Grab aus, so tief es eben geht!«
    Für einen Sarg hatten sie keine Bretter übrig, zu wertvoll war das Holz. Hier oben im sturmumtobten Norden Westislands wuchsen außer kleinen verkrüppelten Birken kaum Bäume, und das wenige angeschwemmte Treibholz benötigten sie dringend für den Hausbau oder zur Herstellung ihrer Werkzeuge.
    Erik gürtete den Vater mit dem Schwert, gab Fleisch und Brot als Wegzehrung bei und wickelte den Leichnam in eine Segelplane. So ausgerüstet senkte er ihn in die knietiefe Grube. Ein letzter stiller Blick, dann schichtete er gemeinsam mit dem Freund aus Felsbrocken einen Grabhügel. Sie gaben ihm die Form eines Schiffes, dessen Bug hinaus aufs Meer gerichtet war.
    »Es ist nicht genug«, sagte Tyrkir. »Jeder Fremde soll den Herrn erkennen.« Er hockte sich nieder und ritzte Runen in einen Stab, dabei summte er leise. Nachdem er das Holz oben auf dem Grab befestigt hatte, bat Erik: »Lies mir vor!«
    »Zum Andenken an Thorvald den Mutigen.«
    »Das ist wahr und gut.« Der Sohn nickte. »Nichts dürfen wir vergessen. Er soll in unserer Erinnerung weiterleben«, und er wandte sich an die Knechte und Mägde: »Kommt alle ins Haus, lasst uns den Herrn ehren!«
    Die Hochbank zwischen den durch Ornamente, magische Zeichen und Figuren reich verzierten Stützpfosten blieb leer. Nach dem Mahl ließ Erik das einzige Fass mit Met anschlagen.
    Seit sie von Norwegen abgesegelt waren, hatte der Vater die süße, berauschende Köstlichkeit wie seinen Augapfel gehütet, zum ersten Julfest im neuen Land, zur Wintersonnenwende, sollte sie getrunken werden. Nun füllte der Met die Becher bei seiner Totenfeier.
    Erik stand dicht vor dem Langfeuer, er blickte über die Glut zu den beiden Mägden, dann auf seiner Seite zu den Männern. »Lasst mich die Ahnen herbeirufen!« Das Wichtigste, der einzige Hort war die Sippe. Ein freier Mann gehorchte keinem Fürsten, er war zuerst seiner Familie verantwortlich, hiernach den Nachbarn und dem Volk. Mit dem Namen wurde die Kette von den Urvorfahren bis zu den Kindeskindern geschmiedet. »Großvater Asvald! Hier steht der Sohn deines Sohnes. Hörst du mich? Bring deinen Vater Ulf und du, Ulf, bring deinen Vater Ochsenthorir zu uns!«
    Er wartete. Nur das Knistern des Feuers unterbrach die Stille. Mit einem Mal stieg der Rauch nicht mehr zum Windauge über dem Hochsitz auf, sondern quoll in einer Wolke durch die Halle; nur einen Moment, schon bildete sich wieder eine Säule, die durch das runde Deckenloch abzog.
    Tyrkir schloss die Augen. Flüchtig dachte er an seine Vorfahren im fernen Deutschland. Selbst wenn ich eure Namen wüsste, mich würdet ihr nicht erhören, nie würdet ihr euch zu mir, einem Sklaven, setzen.
    »Heute gesellt sich Thorvald in euren Kreis. Er war aufrecht und stolz wie ihr.« Erik berichtete von den Heerfahrten und Kämpfen des Vaters, auch wie er sich später den großen Hof in Norwegen gebaut hatte und Bauer und Kaufmann wurde. »Er war beliebt und geachtet auf jedem Handelsplatz …«
    Tyrkir fühlte einen Stich, er hörte nicht mehr auf die Rede. Seine Gedanken kehrten nach Haithabu am Ufer der Schlei zurück. Dorthin, zur großen Handelsniederlassung, hatten die Wikinger ihn und die Mutter nach dem Überfall auf ihr Dorf tief unten am Rhein verschleppt.
    Damals hieß ich noch Thomas, überlegte er, und war gerade fünf Winter alt. Und die Mutter? Er erinnerte sich nicht an ihr Alter, wusste nur, wie schön und klug sie war. Und ihren Geruch, wenn er sich an sie schmiegte, ihn würde er nie vergessen. Sie diente im Haus des Sklavenhändlers, hütete ängstlich ihr Kind und erzog es nicht weiter nach der christlichen Lehre. »Du musst jetzt wie diese Menschen leben, musst denken wie sie, sonst kannst du nicht bestehen, falls man dich mir wegnimmt.«
    Anfangs war es für ihn schwer, sich an den neuen Namen zu gewöhnen. Nicht länger Thomas, sie nannte ihn Tyrkir. »Kein anderer Gott im Himmel der Wikinger gleicht dem weisen und mutigen Tyr«, begann sie jede Geschichte über Walhall und lehrte ihn, diesen Namen mit Stolz zu tragen.
    Während der
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