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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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drehte sich in Richtung der Stimme und sah unmittelbar in Pelle Hyttesteds rotgesprenkelte Schweinsäuglein. Die anderen Journalisten starrten den Mann feindselig an, als sei er seiner Arbeit unwürdig.
    Das war er auch.
    Carl beantwortete einige ihrer Fragen, aber als der Druck auf der Brust zunahm, richtete er den Blick nach innen und ging. Niemand hatte ihn gefragt, warum er hier war. Er wusste es selbst nicht.
 
    Vielleicht hatte er auf der Station mit einem größeren Besucheraufgebot gerechnet. Aber abgesehen von der Oberschwester aus Egely, die auf einem Stuhl neben Uffe saß, erkannte er keines der Gesichter. Merete Lynggaard war guter Stoff für die Presse. Aber als Mensch war sie nichts als ein Patient: zwei Wochen Akutbehandlung durch Taucherärzte in der Druckkammer. Dann eine Woche im Traumazentrum. Danach Intensivstation in der Neurochirurgie, und jetzt war sie hier in der Neurologie.
    Sie hätten Merete Lynggaard aus dem Koma geholt, sagte ihm die Oberschwester der Station, als er sie ansprach. Sie räumte ein, sie wüsste, wer Carl sei. Er hätte doch Merete Lynggaard gefunden. Jeden anderen hätte sie rausgeworfen.
    Carl bewegte sich langsam auf die beiden Gestalten zu, die dort saßen und Wasser aus Plastikbechern tranken. Uffe hielt seinen mit beiden Händen fest.
    Carl nickte der Oberschwester von Egely zu, er erwartete keine Reaktion ihrerseits. Aber sie stand auf und gab ihm die Hand. Sie wirkte bewegt, sagte aber nichts. Sie setzte sich nur wieder hin und starrte die Tür zum Krankenzimmer an. Ihre Hand ruhte auf Uffes Unterarm.
    Es herrschte rege Betriebsamkeit. Die Ärzte nickten ihnen zu, wenn sie kamen und gingen. Carl hatte es nicht eilig. Morten Hollands Grillpartys waren alle gleich. Nach einer Stunde bot ihnen eine Krankenschwester eine Tasse Kaffee an.
    Er trank einen Schluck und betrachtete Uffes Profil. Der saß vollkommen still da und schaute unverwandt auf die Tür. Wenn die Krankenschwestern vorbeigingen, fixierte er gleich anschließend wieder die Tür. Er ließ sie keinen Moment aus den Augen.
    Als Carl mit der Oberschwester Augenkontakt bekam, deutete er auf Uffe und fragte nur mit Gesten, wie es ihm ginge. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Nicht ganz schlecht und nicht ganz gut, sollte das wohl bedeuten.
    Einige Minuten vergingen, dann zeigte der Kaffee Wirkung. Als er von der Toilette zurückkam, waren die Stühle auf dem Flur leer. Er trat zur Tür und öffnete sie einen Spaltbreit.
    Im Raum herrschte vollkommene Stille. Uffe stand am Fußende des Bettes, seine Begleiterin hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt. Eine Krankenschwester notierte Zahlen, die sie von den digitalen Messinstrumenten ablas.
    Merete Lynggaard war kaum zu sehen. Der Kopf war bandagiert und die Decke bis ans Kinn hochgezogen. Sie wirkte friedlich, die Lippen waren leicht geöffnet, die Lider zitterten schwach. Die Hämatome im Gesicht gingen augenscheinlich zurück, aber der Gesamteindruck war besorgniserregend. So vital und gesund sie einmal gewirkt hatte, so zerbrechlich und bedroht wirkte sie nun. Schneeweiße, papierdünne Haut und grabentiefe Ränder unter den Augen.
    »Sie können ruhig zu ihr hineingehen«, sagte die Krankenschwester und steckte ihren Kugelschreiber in die Tasche. »Ich wecke sie jetzt wieder. Aber Sie müssen damit rechnen, dass keine Reaktion kommt. Das liegt nicht nur an Schädigungen des Gehirns und der Zeit im Koma. Sie sieht auf beiden Augen immer noch sehr schlecht, und sie hat durch die Thromben noch Lähmungen. Und vermutlich ist auch das Gehirn dadurch massiv geschädigt. Aber so wie es jetzt aussieht, hat sie durchaus eine Chance. Sie wird eines Tages wieder eigenständig gehen können, glauben wir, aber es ist völlig offen, inwieweit sie zukünftig in der Lage sein wird zu kommunizieren. Die Thromben sind weg, aber sie ist stumm. Die Aphasie hat ihr vermutlich für immer ihre Sprache genommen. Ja, ich glaube, darauf müssen wir uns einstellen.« Sie nickte, wie um ihre Worte zu bekräftigen. »Wir wissen nicht, was sie denkt, aber man darf ja hoffen.«
    Dann trat sie zu ihrer Patientin und verstellte etwas an einem Tropf, über dem Bett hingen viele davon. »So! Ich glaube, sie ist gleich bei uns. Wenn etwas sein sollte, ziehen Sie bitte einfach an der Schnur.« Auf leisen Sohlen verließ sie das Krankenzimmer.
    Die drei sahen still zu Merete hin, Uffe vollkommen ausdruckslos und seine Begleiterin mit einem traurigen Zug um den Mund. Vielleicht wäre es
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