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Erbarmen

Erbarmen

Titel: Erbarmen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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schlagen.
    »Wenn du meinst.« Lächelnd wandte Lasse den Kopf in Assads Richtung.
    Carl nickte. Lasse log nicht. Er war eiskalt, aber er log nicht, das sagte ihm seine jahrelange Erfahrung. Lasse wusste tatsächlich nicht, wie man die Anlage ausschaltete, ohne im Handbuch nachzulesen. Leider war es so.
    Er wandte sich an Assad. »Bist du okay?«, fragte er und legte die Hand auf den Gewehrkolben. Im letzten Moment, denn Assad hätte damit sonst Lasse ins Gesicht geschlagen.
    Assad nickte, aber sein Blick zeigte seine Wut. Die Schrotkörner im Arm hatten keine größeren Verletzungen verursacht, ebenso wenig der Schlag an die Schläfe. Assad war aus härterem Holz geschnitzt.
    Carl nahm ihm vorsichtig die Schrotflinte aus der Hand. »Ich kann nicht so weit gehen. Ich passe hier auf, Assad, und du läufst rüber und holst das Handbuch. Du hast es vorhin gesehen. Das Handgeschriebene im innersten Raum. Es liegt auf dem letzten Stapel. Ganz obenauf, glaube ich. Nimm es Assad, und beeil dich!«
    Lasse lächelte, sowie Assad raus gegangen war und Carl ihm den Lauf des Gewehrs unter das Kinn hielt. Wie ein Gladiator wog Lasse die Stärke seiner Gegner ab, um zu entscheiden, gegen wen er kämpfen wollte. Es war eindeutig, dass er glaubte, Carl sei für ihn der bessere Gegner. Und für Carl war es ebenso eindeutig, dass er sich irrte.
    Lasse ging rückwärts zur Tür. »Du traust dich nicht, mich zu erschießen, aber der andere hätte es getan. Ich gehe jetzt, du kannst mich nicht daran hindern.«
    »Ach, glaubst du!« Carl trat einen Schritt vor und packte ihn hart an der Kehle. Wenn sich der Mann noch einmal rührte, würde er ihm den Gewehrkolben ins Gesicht schlagen.
    Da hörten sie in der Ferne Polizeisirenen.
    »Lauf!«, schrie Lasses Bruder im Hintergrund, sprang mit seiner Mutter im Arm auf und versetzte dem Rollstuhl einen Tritt, sodass der in Carls Richtung rollte.
    Im selben Augenblick hatte Lasse sich losgerissen und war draußen. Carl wollte ihm hinterherrennen, aber er konnte nicht. Offenbar war er übler zugerichtet als Lasse. Das Bein wollte ihm einfach nicht gehorchen.
    Er richtete das Gewehr auf Mutter und Sohn und ließ den Rollstuhl an sich vorbei gegen die Wand fahren.
    »Da!«, rief der Magere und deutete auf das lange Kabel, das Lasse hinter sich herzog.
    Und alle im Raum sahen, wie das Kabel über den Fußboden glitt. Als er durch den Korridor rannte, versuchte Lasse, sich die Sprengladung vom Hals zu reißen. Sie sahen, wie die Kabel sich immer weiter abwickelten und wie sie schließlich den Akku umrissen und mit sich zur Tür zogen. Als der Akku gegen den Türrahmen knallte, glitt das lose Kabelende über den anderen Pol.
    Sie nahmen den Knall nur als schwache Erschütterung und als dumpfes Geräusch in der Ferne wahr.
    Merete lag im Dunkeln auf dem Rücken und horchte auf das Pfeifen. Sie versuchte die Arme so zu halten, dass sie gleichzeitig Druck auf beide Handgelenke ausüben konnte.
    Es dauerte nicht lange, da begann die Haut zu jucken, mehr geschah aber nicht. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl, als würden alle Wunder der Welt über ihr leuchten, und sie schrie zu den Düsen an der Decke, sie könnten nicht treffen.
    Als sich die erste Plombe lockerte, wusste sie, dass das Wunder ausbleiben würde. In den folgenden Minuten überlegte sie, ob sie nicht die Handgelenke loslassen sollte, ehe Kopf- und Gelenkschmerzen zunahmen und sich der Druck in allen inneren Organen bemerkbar machte. Als sie die Handgelenke loslassen wollte, konnte sie nicht einmal mehr die eigenen Hände spüren.
    Ich muss mich umdrehen, dachte sie und gab dem Körper den Befehl, sich auf die Seite zu drehen. Aber die Muskeln hatten keine Kraft mehr. Sie spürte, wie alles immer diffuser wurde. Ein starkes Gefühl der Übelkeit ließ sie würgen und drohte sie zu ersticken.
    So lag sie da wie fixiert. Sie spürte, wie die Krämpfe zunahmen. Erst im Gesäß, dann im Zwerchfell, dann über dem Brustkorb.
    Es geht zu langsam, schrie es in ihrem Inneren, und sie versuchte erneut, den Druck auf die Pulsadern zu lockern.
    Nachdem weitere Minuten vergangen waren, war sie wie benebelt und döste nur noch. Die Gedanken an Uffe ließen sich nicht mehr festhalten. Sie sah Farben aufscheinen und Lichtblitze und rotierende Formen, sonst nichts.
    Als die ersten Plomben heraussprangen, begann sie lang gezogen und monoton zu jammern. Dieses klagende Jammern verbrauchte die ihr verbliebenen Kräfte. Aber sie hörte sich selbst nicht,
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