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Er

Er

Titel: Er
Autoren: Linus Reichlin
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anderen Papas haben das nie gesagt. Aber du! Du hast es gesagt! Du weißt das ganz genau!«
    »Ja, ich weiß es«, sagte Jensen. »Und ich habe es gesagt, weil es stimmt. Weil ich dich wirklich mag.«
    »Du lügst! Du lügst! Du bist abgehauen!«
    Er war erschüttert. Dieses Mädchen weinte aus dem Grund seines Herzens, es war eine unverfälschte, durch nichts zu lindernde Traurigkeit.
    »Weil du mich nicht magst!«, sagte sie. »Du magst nur dein Baby. Weil sie deine richtige Tochter ist!«
    Jensen schwieg, denn er hatte Tonis Trauer nichts entgegenzusetzen, sie war größer und wahrhaftiger als seine Eifersucht, seine Zweifel, sein Selbstmitleid.
    »Du kannst sie doch mit zu uns nehmen«, sagte Toni. »Es ist mir egal. Dann ist sie eben meine Schwester. Sie kann auf dem Sofa schlafen. Oder irgendwo. Aber nicht in meinem Zimmer! Aber ich spiele mit ihr. Meinetwegen. Ist mir egal. Aber dann sind wir eine Familie. Ich will eine Familie!«
    »Es wird alles gut«, sagte Jensen.
    »Aber du magst Mama nicht mehr.«
    »Das stimmt nicht, Toni.«
    »Dann sag es. Sag, dass du Mama magst!«
    Es war richtig, es zu sagen.
    Und Jensen sagte es.
    Er sagte Toni, dass er Lea mochte.
    Dass er sie sehr mochte.
    Und als er es sagte, begriff er, dass alles in seiner Hand lag. Ob Lea Craig gezeichnet hatte oder ihn, ob sie Craig immer noch liebte oder nicht, das alles waren Irritationen in einem fernen Orbit, Geschehnisse, die nur zählten, wenn er es zuließ. Das Einzige, das zählte, war seine Liebe zu Lea. Nur um diese Liebe musste er sich kümmern, um sonst gar nichts. Und diese Liebe gehörte ihm, er konnte entscheiden, wovon er sie abhängig machte, wann er sie aufgab und wann er erst recht an ihr festhielt. Er hatte unter Liebe bisher immer eine Kraft verstanden, die aus der Sehnsucht nach Glück entstand und die einem die Herrschaft, die sie über einen ausübte, mit Zückerchen versüßte, damit man sich ihr mit Vergnügen unterwarf. Aber jetzt begriff er die Liebe als einen kostbaren Besitz, eine Schatulle voller Verheißungen, zu der er allein den Schlüssel besaß. Wenn ihm danach war, konnte er die Schatulle öffnen. Unter den Kostbarkeiten darin lauerte immer auch eine Viper, das war der Preis. Aber wer nicht mehr das Glück suchte, sondern bereit war zu leiden, dem gehörte die Liebe und der fühlte sich nicht mehr unterworfen.
    Und Jensen war bereit dazu.
    Die Fensterscheiben knackten im Sturm. Toni weinte an seinem Ohr, und er sagte: »Morgen kann ich noch nicht in Berlin sein. Aber übermorgen. Und wenn du nächstes Mal zu Aikido gehst, bringe ich dich hin. Und von da an jede Woche.«
    »Versprich es«, sagte Toni.
    »Ich verspreche es.«
    »Schwör es.«
    Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an.
    »Ich schwöre es«, sagte er.

    ENDE

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    Dank
    I CH DANKE Eva Dahle für Reanimation, Inspiration und Futterstellen, Bill Lawson für sein hilfreiches Buch «Lewis in History and Legend», Jane Murray für ein unvergessliches Abendessen (gesottener Guga mit Whiskey) und Duncan Murray für seine Hilfe bei den Recherchen über den Guga Cull.

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    Das Buch
    Hannes Jensen hat es nicht leicht. Annick, seine blinde Geliebte, hatte, wie er herausfand, vom Beginn ihrer Beziehung an einen Anderen und ist mit diesem nach New York durchgebrannt. Einzig ihren Blindenhund ließ sie zurück, der nun – wie ein bewegliches Mahnmal des Verrats – nicht von Jensens Seite rücken will. Als Jensen samt Hund zur Beerdigung seiner Schwester nach Berlin fährt, lernt er in einem Blumenladen Lea kennen. Die so eigenwillige wie schöne Frau übt auf Jensen sofort eine enorme Anziehungskraft aus. Zugleich, darüber ist er sich schnell im Klaren, haftet ihr etwas Rätselhaft-Tragisches an. Lea ist keine gebürtige Berlinerin. Sie stammt von einer schottischen Insel, auf der die Zeit stillzustehen scheint. Seit Generationen lebt man dort von Schafzucht. Jeder kennt jeden und die Sitten sind so rau wie das Klima. Mit siebzehn war Lea von dort nach Berlin geflohen, weil ihr strengreligiöser Vater sie zwangsverheiraten wollte. Sie war damals schwanger, und die Bewohner der Insel wie ihre Familie verdächtigten den Falschen, ihr Liebhaber zu sein. Erst zwei Jahrzehnte später, als er die Diagnose einer unheilbaren Krankheit bekam, bat Leas Vater seine Tochter, ihn noch einmal aufzusuchen. Er konnte nicht ahnen, dass durch ihren Besuch alles wieder auf brechen und eine verhängnisvolle Kettenreaktion ausgelöst werden würde, an deren Ende der
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