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Er

Er

Titel: Er
Autoren: Linus Reichlin
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ja, aus dem Buch ist dann nichts geworden. Aber das wissen Sie ja sicher.«
    »Nein«, sagte Jensen.
    Draußen rauschte der Regen. Eine Kirchenglocke schlug die Stunde.
    »Sie hat Ihnen nichts von dem Buch erzählt?«, fragte MacLeod. »Nein.«
    »Auch nicht von dem Foto, auf dem Angus Morrison drauf ist? Ich frag nur so.«
    »Sie hat mir gar nichts erzählt«, sagte Jensen.
    »Sie wussten nicht, dass sie auf dem Cull dabei war?«
    »Nein.«
    »Na so was.« MacLeod betrachtete einen Moment lang die Tür. »Das ist wieder mal typisch. So sind die Frauen.«
    Er griff nach der Flasche. Der Whiskey plätscherte.
    »Der Guga Cull ist also eine Art Vogeljagd?«, fragte Jensen.
    »Wir jagen die aber nicht zum Spaß. Es ist eine Tradition. Deshalb tun wir es.«
    »Und Lea und Craig haben an dieser Jagd teilgenommen«, sagte Jensen.
    »Sie und Craig und wir alle.«
    »Und als Craig abstürzte, wie hat sie da reagiert?«
    »Wie sie reagiert hat? Gut«, sagte MacLeod. »Ich meine, so wie wir alle. Es hat uns alle mitgenommen. Wir haben nicht gerade einen Gesangsverein gegründet, wenn Sie das meinen.«
    Jensen fühlte in sich etwas Fremdes, und es arbeitete sich aus seiner Magengegend hoch, verschaffte sich Zugang zu seinem Mund und sagte: »Hat sie ihn geliebt? Das meine ich.«
    Die Frage überraschte MacLeod nicht, er dachte offenbar auch in diesen Kategorien.
    »Hab mir schon gedacht, dass Sie das interessiert«, sagte er, sein Blick war brüderlich. »Na ja, sie hat uns allen den Kopf verdreht. Damals. War das schönste Mädchen der Insel. Und mich hat ja auch nicht gerade die Kuh ausgespuckt.« Er öffnete eine Schublade und schob Jensen ein Foto über den Tisch. Ein schöner junger Mann in zu engen weißen Schlaghosen, im Hintergrund glotzten Schafe. »Da war ich zwanzig«, sagte MacLeod. »Ich hätt Lea genommen. Wir wären ein schönes Paar gewesen. Aber sie hat mir einen Korb gegeben. Sie war verschossen in Angus Morrison. Kein Mensch hat’s verstanden. Sie war sogar mit ihm im Rosalea. Das war ein verlassenes Haus oben bei Port Nis. Die Mädchen gingen als Jungfrauen rein, und wenn’s schlecht lief, kamen sie mit einem dicken Bauch raus. Wenn’s mein Kind gewesen wäre, hätt ich Lea geheiratet, und dann hätte sie’s auch behalten. Aber ein Kind von Angus Morrison … Na ja, sie wurde schwanger und hat’s abgetrieben, in Deutschland. Wir haben’s alle verstanden. Angus Morrison hätte einem Kind nicht viel mehr beibringen können, als wie man rückwärts auf einem Schaf reitet. Red ich mich jetzt eigentlich um Kopf und Kragen? Ich meine, Lea, ist sie Ihre Freundin?«
    Ein Ja wäre zu viel gewesen, ein Nein hätte nicht gestimmt.
    »Es könnte eines Tages so sein«, sagte er.
    »Sie wünschen sich das wie der Fischer volle Netze«, sagte MacLeod. »Das sieht man Ihnen an. Ist ja auch verständlich. Ich hab Lea mehr als zwanzig Jahre nicht gesehen. Aber als sie wieder vor mir stand, in Port Nis am Hafen, bevor wir nach Sula Sgeir ablegten, na ja, da dachte ich, ich kann jeden verstehen, der verrückt nach ihr ist. Aber Craig können Sie von der Liste streichen. Da leg ich meine Hand ins Feuer. Und ich merk so was immer. Mein Schwager Ian zum Beispiel hatte mal was mit der Frau seines Bruders. Niemand wusste es. Alle dachten, dass das Einzige, das Ian nachts wächst, ein Heiligenschein ist. Aber ich hab’s gespürt. An Ians Geburtstag. Ich konnte hören, wie es zwischen ihm und dieser Frau brutzelte. Ein Jahr später ist er mit ihr nach Glasgow abgehauen, hat meine Schwester und zwei Kinder sitzen gelassen. Aber Craig und Lea Murray? Jetzt mal Hand aufs Herz«, sagte MacLeod. »Auf so eine Idee kann man nur kommen, wenn man so aussieht wie Craig. Aber wenn die was miteinander hatten, beiß ich mir die Hand ab. Da können Sie ganz beruhigt sein. Da war nichts. Jetzt nicht und früher schon gar nicht. Er war ja nicht der Typ, mit dem man tanzen geht, weil man mal wissen möchte, wie sich seine Hand auf dem Hintern anfühlt. Craig war Lehrer. Ein Lehrer und eine Schülerin, so was gibt’s hier auf Lewis einfach nicht. Und nachher haben sie sich ja die ganzen Jahre über nicht gesehen. Lea Murray war in Deutschland, und er ist höchstens mal in den Ferien nach Frankreich gefahren, aber immer mit seinen Söhnen und mit Grace. Das ist seine Frau. Seine Witwe. Allein ist der nie verreist. Das hätte sich rumgesprochen. Hier spricht sich’s schon rum, wenn einem ein Schnürsenkel aufgeht. Und Lea hat sich auf der Insel
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