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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes
Autoren: Karin Jäckel
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einzigen verschmolzen waren und mich um das Kostbarste betrogen hatten, was ich zu geben hatte, nämlich meine Liebe, mein vollkommenes Vertrauen, meine Hingabe, mein ganzes Herz und Wesen, mein Ich.

    Als Max mir in dem Jahr nach unserer Sommerliebe schrieb, saß ich lange mit seinem Brief in der Hand.
    »In Tunesien ging mir alles viel zu schnell. Du warst mir näher, als ich wollte und ertragen konnte. Ich habe gemerkt, dass wir nicht zusammenpassen. Dein Lebensstil und meiner sind grundverschieden. Unmöglich, mir eine dauernde Bindung mir dir vorzustellen. Als Kumpel, meinetwegen. Wir haben ja Nettes zusammen erlebt. Aber mehr geht nicht. Ich habe mich anders orientiert. Ach ja, und danke noch für das tolle Hemd zu Weihnachten.«

    Ich fühlte mich leer wie damals, als ich ein kleines Mädchen war und Frederic mich zum ersten Mal sexuell missbrauchte und dabei von wahrer Freundschaft sprach.
    »Ich habe viel zu lange Rücksicht genommen«, hatte Max mir in einem seiner Knastbriefe mitgeteilt. »Jetzt muss es nach mir gehen. Ohne groß nach rechts oder links zu schauen. Wenn du so wie ich mal ganz unten warst, weißt du, was zählt. Das ist heavy. Aber besondere Situationen verlangen besondere Lösungen. Und das Verrückte ist, dass ich mich zum ersten Mal gut dabei fühle. Gut heißt, gut für mich.«

    Das Kind in mir weinte. Meine Tränen als Frau waren versiegt.

NACHWORT

    Frederic und Max verschmolzen für mich leider nicht zu einer neuen, geläuterten Persönlichkeit, mit der ich meine Kindheit als Missbrauchsopfer hätte überwinden können. Dennoch habe ich durch Max vieles an Frederic verstanden und auch mich besser kennen gelernt.
    Ich habe diese beiden Männer über alles geliebt. Frederic schenkte ich meine unschuldige Kinderliebe. Er hingegen benutzte mich, um ganz unverbindlich und im Schutz meiner kindlichen Verehrung und Anspruchslosigkeit seine sexuelle Lust an mir abzureagieren. Als es vorbei war, hatte er kein einziges Wort für mich. Kein Abschied, keine Erklärung, keine Entschuldigung. Er ließ mich fallen, als sei ich nie gewesen. Und als ich ihn zur Rede zu stellen versuchte, log er.
    Max habe ich als erwachsene Frau geliebt und begehrt, die sich ein Kind von ihm ersehnte und zusammen mit ihm alt werden wollte. Auch von ihm wurde ich sexuell benutzt, indem er ganz unverbindlich und im Schutz meiner großen Liebe und Anspruchslosigkeit an mir ausprobierte, wie es wäre, mit einer Frau zu schlafen. Als es ihm mit mir nicht zusagte, ließ er mich fallen. Auch er hatte es nicht nötig, sich mit Anstand und Würde von mir zu verabschieden, geschweige denn sich dafür zu entschuldigen, wie weh er mir getan hatte. Und als ich ihn zur Rede zu stellen versuchte, war er zunächst
    Monate lang unerreichbar, um schließlich zu behaupten, wir hätten doch weiter nichts als ein paar nette Stunden miteinander verbracht.

    Frederic und Max, zwei Männer und doch wie aus demselben Holz. Ich habe mich oft gefragt, welche Gemeinsamkeiten es zwischen Kindesmissbrauchern gibt.
    Das Gemeinsame an diesen beiden Männern Gottes, die zum Täter wurden, ist, dass sie sich nicht in einen anderen Menschen hineinversetzen, sondern nur sich selbst lieben und respektieren können. Bei Max ging die Gefühlsarmut seinen Mitmenschen gegenüber sogar so weit, dass er nicht einmal mit einem tödlich verunglückten Kind Mitleid haben und über dieses Leid weinen konnte.
    Keiner der beiden äußerte mir gegenüber je ein Wort des Mitleidens oder des Bedauerns über ihre Tat. Frederic machte mir weis, dass ich die Schuldige sei, indem er mich nach dem sexuellen Missbrauch vor seinem Kruzifix knien und reuig beichten ließ und dann uns beiden im Namen Gottes die Absolution erteilte. Mit diesem Akt belog er sogar seinen Herrgott, denn trotz des Priesteramtes hatte er kein Recht, sich selbst von dieser Sünde loszusprechen.
    In jedem seiner Briefe aus der Haftzeit klagte Max über sein eigenes schlimmes Los und seine Ängste. Die Sexualfeindlichkeit der Kirche trug die Schuld an seiner Situation. Er ließ sich über Menschen als Werkzeug Gottes aus und über Vergebung aus Liebe. Aber nie verlor er nur ein einziges Wort der Reue über seine Straftat, nie fühlte er mit den Kindern, die er sexuell missbraucht hatte, nie wünschte er sich, sich bei ihnen entschuldigen zu dürfen oder etwas an ihnen wiedergutmachen zu können.
    Beide Männer waren in ihrer Ichbezogenheit so verblendet, dass sie glaubten, von Gott persönlich so
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