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Er war ein Mann Gottes

Er war ein Mann Gottes

Titel: Er war ein Mann Gottes
Autoren: Karin Jäckel
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kam kurz vor Weihnachten. Max denke gern an unsere Zeit zurück, habe aber eine Freundin aus früheren Zeiten wiedergetroffen, die ihm sehr viel bedeute. Schon während der Haft habe sie ihm treu zur Seite gestanden. Daraus habe sich eine starke Vertrautheit zwischen ihnen eingestellt. Eigentlich habe er mir das lieber persönlich sagen wollen, wenn er mal wieder Zeit haben würde, mich auf einen Kaffee zu besuchen. Leider habe ich ihn mit meinem Brief in die Enge getrieben. Somit hätte ich mir seine Reaktion selbst zuzuschreiben.

    Ich war am Ende. Was nützte es mir, dass er mir ein Gedicht mitgeschickt hatte, worin er mich pastoral belehrte, dass die Liebe überall dort zu Hause sei, wo Demut sich niederbeuge? Ich hatte mich zu ihm niedergebeugt. Ich hatte ihn aufgehoben und über mich selbst erhoben. Doch hatte er die Demut in meiner Liebe nicht gewürdigt.
    Verzweifelt und ratlos machte ich mich auf Spurensuche nach dem wahren Max, den ich wohl trotz unserer langen Brieffreundschaft nie wirklich gekannt hatte. Ich wollte wissen, wer die Frau war, die er aus früheren Zeiten kannte und mit der ihn so vieles verband, dass er sie seine Freundin nannte und mit ihr zusammen war anstatt mit mir.
    Es war gar nicht schwer gewesen herauszufinden, mit welchen anderen Frauen Max sich die Haftzeit verkürzt hatte. Es waren mehrere gewesen, außer mir hatten sie alle Kinder.
    Keine von ihnen konnte sich erklären, was mit Max los war. Jede hatte sich Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft gemacht und genau wie ich Jahre ihres Lebens mit sinnloser Treue an ihn verschwendet.
    Eine bittere Ehre für mich, dass ich die Einzige unter ihnen war, mit der Max nach seiner Haftentlassung in Kontakt geblieben war und sogar Urlaub gemacht hatte. Warum? Etwa, weil er sein erstes Mal nur mit einer Frau ausprobieren wollte, die keine Kinder hatte? Wie leicht hätten sonst ihre Kinder für ihn sexuell reizvoller sein können als die Mutter. Eine böse Vermutung, ich weiß. Aber ich war böse. Nein, böse und verletzt. Viel verletzter als böse.
    Eine dieser Damen wusste, wer die langjährige Freundin war. So erfuhr ich, dass es sich dabei um seine anonyme »Bezugsperson« aus dem Gefängnis handelte und dass sie nonnenähnliche Laienschwester war, die als Krankenschwester in einem Krankenhaus arbeitete. Danach verbrachte ich viel Zeit vor der Klinik, wo sie arbeitete, in der vagen Hoffnung, sie zu sehen. Ich rang mit mir, ob ich sie dann wohl ansprechen würde oder nicht. Ich weiß noch heute nicht, ob es gut war, dass ich ihr nicht begegnete.
    Irgendwann entdeckte ich Fotos von einer zierlichen, rotblonden Laienschwester als Krankenschwester im Internet, von der ich annahm, dass es sich um Max’ Bekannte handelte. Auf jeden Fall fand ich heraus, dass sie problemlos Urlaub von ihrer Festanstellung im Krankenhaus nehmen konnte, um religiöse Meditationskurse anzubieten. Dadurch konnte sie ihre Arbeitszeit so einteilen, dass sie Freizeit genug hatte, mit Max über die vom Klerus gebilligte Betreuung hinaus unterwegs zu sein. Es erklärte auch, wieso sie trotz ihres klerikalen Standes spät abends und mitten in der Woche in seiner Wohnung den Telefonhörer abnahm und mir mitteilte, dass Max nicht zu erreichen sei, als ich ihn anrufen wollte, um mich noch einmal mit ihm auszusprechen.
    Wie dumm war ich gewesen, dass ich nie Verdacht geschöpft hatte, wenn er mir in seinen Briefen vorschwärmte, wie schön das Wochenende wieder gewesen sei, das er mit seiner »Bezugsperson« in Freiheit verbracht habe, und wie schwer es ihm danach immer falle, wieder ins Gefängnis zurückkehren zu müssen. Anstatt dies zu hinterfragen, hatte ich ihn damals nur verständnisvoll getröstet und ihm ausgemalt, dass er ja bald schon für immer frei sein werde und mit mir zusammen unternehmen könne, was wir wollten.

    Wie eiskalt berechnend Max war, hätte ich während unserer Brieffreundschaft niemals geglaubt. Noch heute fällt es mir oftmals schwer zu verkraften, dass ich in meiner Liebe so blind war. Das Einzige, was Max an seiner Tat bedauerte, war die Tatsache, alles verloren zu haben, was er sich aufgebaut hatte, und befürchten zu müssen, dass sein Ansehen als Priester wegen seiner Verurteilung so stark Schaden genommen habe, dass er nach seiner Entlassung keine gesellschaftliche Perspektive mehr geboten bekäme.

    Qualvoll arbeitete ich nun meine Gefühle und diese so seltsam verwobenen Liebesgeschichten mit zwei Priestern auf, die für mich zu einer
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